Für das eher selten gegebene Werk engagierte Opernintendant Aviel Cahn den oft als Skandalregisseur verschrieenen Calixto Bieito, dessen Inszenierungen in Berlin, Stuttgart oder Basel wegen ihrer Gewalt- oder Sexszenen tatsächlich oft für Aufregung sorgten. So hat die flämische Oper vorausschauend die Mahagonny-Produktion erst für Jugendliche ab 16 Jahren frei gegeben.
Einen Skandal gab es aber nicht. Nicht ein einziger Buh-Ruf schallte dem katalanischen Regisseur und seinem Team am Premierenabend entgegen. Tatsächlich gab es dafür auch keinen Grund, denn so gewalttätig oder voller drastischer Sexszenen war die Inszenierung nun wirklich nicht. Sicher gibt es den einen oder die andere Nackte, aber da dürfte es selbst im Werbefernsehen oder erst recht im Internet mehr zu sehen geben.
Bieito erzählt die Geschichte vom moralischen Untergang der Stadt Mahagonny auf einem wunderbar kitschig eingerichteten Campingplatz. Das ist schon eine technische Meisterleistung, wie sich die Campingwagen auf der Genter Opernbühne übereinander aufbauen und in jedem passiert was: Ganz nach der mittlerweile weit verbreiteten All Inclusive-Manie gibt es in dem einen Wagen "All you can drink", "All you can eat" oder auch "All you can fuck".
Was braucht es einen Hurrican, um die Welt zu zerstören, das erledigen wir Menschen doch schon selber. Diese Botschaft von Bertolt Brecht aus dem Uraufführungsjahr der Oper 1930 ist heute wahrer denn je. An der Kapitalismus-Debatte scheint Bieito in seiner Inszenierung aber gar nicht interessiert zu sein (was soll man da auch noch hinzufügen), ihm geht es in erster Linie um die moralischen Verwerfungen. Dies wird in der beigefügten Nebenrolle eines zunächst kleinen unschuldig lächelnden Mädchens am deutlichsten. Sie kommentiert mit gekritzelten Strichmädchen immer wieder das Geschehen und wird im zweiten Teil der Oper zur kleinen Lolita. Wie, das können sie sich wohl schon denken.
Bieito zeigt uns eine durch und durch pervers genusssüchtige Welt, dabei holt er den ganz großen Pinsel heraus, alle sind ständig in Bewegung, in jeder noch so kleinen Ecke passiert etwas, für leise Zwischentöne bleibt da wenig Platz. Ganz im Sinne des Brechtschen Theaters lässt er dann auch zum Ende die Protagonisten durch den Saal ziehen, so wird jeder Besucher mehr als nur ein Teil der Inszenierung.
Der Alabama-Song ist wohl der bekannteste Auszug aus Mahagonny, übrigens der einzige, der in englischer Sprache gesungen wird, ansonsten ist das Libretto komplett in deutsch und in dieser Produktion von einer hervorragenden Sprachverständlichkeit. Allerdings muss auch gesagt werden, dass gesanglich einiges im Argen ist. Leider waren die Sängerinnen und Sänger am Premierenabend nicht immer sehr intonationssicher. Dies erklärt sich vielleicht durch das körperintensive Bühnenspiel, das ihnen doch einiges abverlangt.
In Gent ist Mahagonny bis zum 27. September und in Antwerpen vom 5. bis 15. Oktober zu sehen.
Bild: Vlaamse Opera/Annemie Augustijns