Diesen Abend wird keiner so leicht vergessen. Von der ersten bis zur letzten Minute sitzt man gebannt vor einem Bühnenspiel, für das der Begriff Oper an und für sich zu kurz greift. Es ist eine einzigartige Symbiose von Musik, Gesang, Tanz und Bühnenbild. Alles ist reinste Poesie voller Empfindsamkeit und Intensität.
Ein Stück des No Theaters liegt dem Werk zugrunde. Matsukaze erzählt die Geschichte von zwei Schwestern, die einst den selben Mann liebten. So kehren sie nach Jahrhunderten als Geister zurück, immer noch sich nach der unerfüllten Liebe verzehrend, und verwandeln sich am Ende in Kiefernwind und Herbstregen, denn dies bedeuten ihre Namen Matsukaze und Murasame. So finden sie die Erlösung.
Hanna Dübgen schrieb das Libretto, übrigens in deutscher Sprache, das Toshio Hosokawa in eine unglaublich sinnliche Musik übertrug, in die er neben einer bewundernswerten Kammerorchesterpartitur und herrlicher Stimmgestaltung auch Naturklänge wie das Prasseln des Regens, die Bewegung der Wellen oder das leise Pfeifen des Windes einfließen lässt. Dies ergibt ein unvergleichliches Ganzes.
Die Musiker der Monnaie sind unter der Leitung des jungen Dirigenten Pablo Heras-Casado großartige Interpreten, der Chor (das Vokalconsort Berlin) und das Solistenquartett könnten nicht besser gewählt sein. Neben der kurzen Partie des Fischers, gesungen von Kai-Uwe Fahnert, und jener des erzählenden und begleitenden Mönches, den Frode Olsen mit klangschönem Bariton und erhabener Geste sang, stehen vor allem die beiden Schwestern im Zentrum des Geschehens: stimmlich und darstellerisch.
Barbara Hannigan als Matsukaze und Charlotte Hellekant als ihre Schwester Murasame sind die idealen Interpretinnen, denn sie singen nicht nur vorzüglich, sondern lassen sich ebenso auf das anspruchsvolle Spiel ein, dass Regisseurin Sasha Waltz von ihnen verlangt. Hier verschmelzen tatsächlich Gesang und Tanz. Sasha Waltz hat die Oper mehr als nur inszeniert, sie macht daraus fast schon ein eigenes Genre: die Choreographie-Oper. Dies bietet sich bei den zahlreichen Instrumentalpassagen geradezu an: So entstehen Szenen, die von ihrer Compagnie in wunderschön lyrische Bilder verwandelt werden. Dazu trägt auch das Bühnenbild bei.
Die japanische Künstlerin Chiharu Shiota schuf ein riesiges Fadengewebe, an dem die beiden Sängerinnen aus dem Jenseits ins Diesseits hinabsteigen und ebenso wie die Tänzer in diesem komplexen Gebilde nahezu akrobatische Bewegungen absolvieren. Das Fadengewebe wird dann von einem offenen Holzrahmen ersetzt. Hier werden zum Ende hin riesengroße Kiefernnadeln auf die Sänger und Tänzer niederprasseln. Vor allem in dieser, aber auch in anderen Szenen wird man an aktuelle Bilder aus Japan erinnert. Ohne je den Tsunami und seine katastrophalen Folgen direkt anzusprechen, kommen dem Betrachter diese Bezüge immer wieder in den Sinn. Aber Matsukaze ist eben keine aktuelle Betrachtung, sondern ein zeitlos schönes, ergreifendes Gesamtkunstwerk, das niemanden unberührt lässt.
Bis zum 11. Mai wird Matsukaze in Brüssel gegeben.
Bild: la monnaie