Am Freitag lag in Eupen Frühling in der Luft - nicht nur draußen, sondern auch im Innern des Eupener Jünglingshauses zwitscherten die Vögel, in der Form von Antonio Vivaldis Geigentönen, mit denen er 1725 das Erwachen des Frühlings beschrieben hat. Das Ostbelgienfestival hatte zum Konzert geladen, und das Eupener Publikum war gekommen - das Jünglingshaus war bis auf den letzten Platz gefüllt.
Die zahlreichen Zuhörer wurden nicht nur nicht enttäuscht, sie wurden sogar mit Streicherklängen auf höchstem Niveau belohnt. Das "Orchestre Royal de Chambre de Wallonie" in kleiner, 17-köpfiger Besetzung unter der Leitung von Konzertmeister Jean-Frédéric Molard präsentierte im ersten Konzertteil das Stück "Souvenir de Florence" von Peter Tschaikowski. In diesem ursprünglich für Streichsextett komponierten Werk verarbeitete Tschaikowski kurz vor seinem Tod seine positiven Erinnerungen an einen mehrmonatigen Erholungsurlaub in Florenz. Das Ensemble interpretierte das Stück mit einer Energie und einem derart perfekten Zusammenspiel, dass man völlig vergessen konnte, dass die Musikerinnen und Musiker ganz ohne Dirigent auskamen.
Im zweiten Konzertteil gesellte sich dann die Violinistin Sylvia Huang mit hinzu, und gemeinsam wurde Antonio Vivaldis meistgespieltes Werk aller Zeiten aufgeführt, die "Vier Jahreszeiten". Für Sylvia Huang ist dieses Werk zeitlos und musikalisch so reichhaltig, dass man es sich immer wieder anhören kann, ohne dass es irgendwann langweilig würde.
Dabei ist das Werk nicht einfach ein Violinkonzert - es sind genau genommen vier Violinkonzerte, eines für jede Jahreszeit. Antonio Vivaldi hat mit diesem Werk eines der ersten Beispiele von Programmmusik geschrieben, also Musik, die außermusikalische Ereignisse oder Situationen beschreibt. Für einen Solisten ist es ganz schön anstrengend, das Werk komplett zu spielen. Man muss seine Energie gut einteilen, aber als Zyklus mit einigen langsamen und ruhigeren Sätzen ist es laut Sylvia Huang doch ganz gut machbar.
Eine Solistin von dem Format einer Sylvia Huang hört man in Eupen nicht alle Tage. 2019 war sie Laureatin beim Königin-Elisabeth-Wettbewerb in Brüssel und gewann beide Publikumspreise. Das Publikum begeistert hat sie auch am Freitagabend in Eupen. Dabei hat gerade ihr Erfolg beim "Concours Reine Elisabeth" ihre Karriere als Solistin befeuert: Vor dem Wettbewerb war sie völlig unbekannt, nach ihrem Erfolg bekam sie dann immer öfter die Gelegenheit, als Solistin und Kammermusikerin aufzutreten und dadurch ihre musikalische Persönlichkeit zu entwickeln.
Der "Concours Reine Elisabeth" hat ihr berufliches Leben also stark verändert. Zum Glück, kann man sagen, denn ansonsten hätten wir am Freitag hier in Eupen nicht ein so hochklassiges und begeisterndes Konzert erleben dürfen - mit Dank an das Ostbelgienfestival, das es immer wieder schafft, solch interessante und ambitionierte Konzerte in unserer Region zu organisieren.
Patrick Lemmens