Es gibt Opernabende, die man so schnell nicht vergisst. Ein solcher war gestern die Parsifal-Premiere in Brüssel: Bilder, die einen faszinieren und auch manchmal vor Rätsel stellen, eine musikalische Umsetzung, die in ihrer Intensität und Detailgenauigkeit keine Wünsche übrig lässt und dazu ein durchgehend hervorragendes Solistenensemble.
Der Regisseur Romeo Castellucci zählt seit Jahren zu den großen der Theaterszene. Mit Wagners Parsifal gibt er sein Operndebüt und er schafft es, jedem Akt eine ganz eigene Charakteristik zu verleihen, sowohl die Bühnenausstattung, das Licht als auch die Personenführung betreffend. Nun könnte man befürchten, dass dies einer willkürlichen Eklektik folgt, nein, alles ist von einer beeindruckenden Logik und eindringlichen Ästhetik geprägt.
Drei Akte - drei Erlebnisse
Der erste Akt spielt in einem verwunschenen Wald im Gralsgebiet. Die einzelnen Figuren scheinen sich in den Bäumen und Sträuchern zu verlieren, werden mit der Natur förmlich eins. In diese Welt dringt der reine Tor Parsifal ein und wird letztendlich wieder verbannt.
Diesem Bilderrausch entspricht ein Klangrausch aus dem Orchestergraben, der allerdings nie in eine plakative Wucht ausartet. Man spürt, dass Dirigent Hartmut Haenchen einer der Wagner- und vor allem Parsifal-Kenner unserer Zeit ist. Bereits in der Ouvertüre wird deutlich, dass wir einen erhabenen, aber auch zügigen Parsifal hören werden.
Das Portrait Nietzsches ist dabei großformatig auf den Vorhang projiziert: Wegen des Parsifals kam es ja zum Zerwürfnis zwischen Wagner und Nietzsche, und ich habe den Eindruck, dass Castellucci in seiner Inszenierung den religiösen Hintergrund des Werkes weniger betont und damit dem Philosophen in gewisser Weise näher steht.
Akt zwei ist dann ein vollkommener Bruch: So dunkel-düster der Wald und die Gralsburg, so hell ist der Zaubergarten Klingsors, der das Geschehen als Dirigent zu leiten scheint. Kundrys und Parsifals Kuss wird zum zentralen Punkt. Hier bekommt die Handlung die neue Wendung. Mit einer faszinierenden Symbiose von Bühnenspiel und Videoeinblendung ist dies meisterlich dargestellt.
Was kann nach diesen beiden bilderintensiven Akten im Finale folgen? Eine nahezu leere Bühne, die allerdings von einer 150 Personen starken Menschenmenge bevölkert wird, die sich im wahrsten Sinne des Wortes mit Parsifal auf den Weg macht, um als der „reine Tor“ Amfortas Wunde zu schließen und nun selber der Gralsgemeinschaft vorzustehen.
Ein Höhepunkt der Opernsaison
Es ist unmöglich, in der Kürze alle Eindrücke zusammen zu fassen. Da schaut man zum Beispiel mit Erstaunen auf eine echte weiße Schlange, die als Symbol der Unschuld und der Verführung doppeldeutig ist, oder sieht einen Schäferhund, der in einer fast stoischen Ruhe als Klingsor das Geschehen beobachtet. Und, wie eingangs erwähnt, bleiben manche Sequenzen ein Geheimnis. Aber alles scheint das Resultat einer sinnlichen und reflektierten Auseinandersetzung zu sein, die ihresgleichen sucht.
Und wenn dann Anna Larsson eine solch grandiose Kundry singt und spielt, Andrew Richards als Parsifal glänzt und auch alle weiteren Protagonisten ihren Rollen stimmlich ihren persönlichen Stempel aufdrücken können, dann kann man von einem Höhepunkt der diesjährigen Opernsaison sprechen, einem Moment, der noch lange nachwirkt.
Bis zum 20. Februar steht Parsifal noch neun Mal auf dem Programm der Monnaie in Brüssel.
Bild: Bernd Uhlig (La Monnaie)