66 junge Cellistinnen und Cellisten aus aller Welt sind vor etwa einem Monat in Brüssel angetreten, mit dem Ziel, einen der wichtigsten und härtesten Musikwettbewerbe der Welt zu gewinnen. 24 von ihnen kamen in die zweite Runde, und zwölf ins Finale - neun Männer und drei Frauen.
Begleitet vom Brussels Philharmonic unter der Leitung von Dirigent Stéphane Denève wetteiferten sie um den Sieg, indem jeder von ihnen ein vom deutschen Komponisten Jörg Widmann eigens für diesen Wettbewerb geschriebenes Pflichtwerk mit dem Titel "5 Albumblätter" aufführte, sowie ein Solokonzert für Cello, das sie frei aus dem Standard-Repertoire auswählen konnten.
Und während vor fünf Jahren im Finale des ersten Königin-Elisabeth-Wettbewerb für Cello insgesamt nur drei verschiedene Wahlwerke zur Aufführung kamen, waren es in diesem Jahr doppelt so viele. 2017 wurde das 1. Cellokonzert von Dmitri Schostakowitsch von insgesamt sechs Finalisten als Wahlwerk aufgeführt, das Konzert von Antonín Dvořák von vier und das Cellokonzert von Robert Schumann von zweien.
In der vergangenen Woche waren neben diesen drei Klassikern auch drei weitere Concertos vertreten, das 2. Konzert von Schostakowitsch, die Symphonie Concertante von Sergei Prokofjew und das auf Wettbewerben eher selten gespielte Concerto für Cello von Witold Lutosławski. Und eben dieses Werk verhalf der jungen und äußerst begabten Koreanerin Hayoung Choi zum Sieg in einer Finalrunde, die uns Musikfreunden einen Hörgenuss auf allerhöchstem Niveau beschert hat.
Souverän und ausdrucksstark
Nach der Bekanntgabe der Preisträger durch den Jury-Vorsitzenden Gilles Ledure am späten Samstagabend herrschte die einhellige Meinung, dass die Entscheidungen der Jury gerechtfertigt und nachvollziehbar sind. Wie oft hat es in der Vergangenheit nicht Diskrepanzen gegeben zwischen den Empfindungen und Erwartungen des Publikums und den anschließenden Beschlüssen der Fachjury; doch in diesem Jahr waren sich Fachleute, Publikum und Jury einig: Mit Hayoung Choi hat die kompletteste unter den Finalteilnehmern gewonnen. Ihre Emotionen und ihre Expressivität begeisterten die Zuhörer, und ihre technischen Fähigkeiten waren dabei nicht Selbstzweck, sondern die Mittel, um ihre Gefühle mit dem Publikum zu teilen.
Die Wahl des Lutosławski-Konzerts für ihren Finalauftritt war zwar gewagt, die Rechnung ist aber voll aufgegangen: Sowohl Fachjury als auch Publikum begrüßten einhellig das Verlassen von eingetretenen und sicheren Pfaden und den Mut, etwas anderes, aufregendes zu wagen - selbst bei einem so renommierten und altehrwürdigen Wettbewerb wie dem "Concours Reine Elisabeth". Souverän und ausdrucksstark meisterte Hayoung Choi die Klippen dieses schwierigen zeitgenössischen Werks und begeisterte die Zuhörer, die ihr am Mittwochabend mit minutenlangen stehenden Ovationen dankten. Und spätestens seit diesem Moment war klar, dass die Koreanerin einen Platz auf dem Podium verdient hatte, und sehr wahrscheinlich sogar den auf dem obersten Treppchen.
Große Konkurrenz
Dabei war die Konkurrenz groß: Der erst 20-jährige Chinese Yibai Chen überzeugte ebenfalls durch seine Expressivität und meisterhafte Technik; er begeisterte mit seinem Wahlwerk, dem 1. Cello-Konzert von Dmitri Schostakowitsch, und wurde mit dem 2. Platz belohnt. Auf dem 3. Treppchen landete - vielleicht ein wenig überraschend - der Este Marcel Kits, der ebenfalls das 1. Konzert von Schostakowitsch gewählt hatte. Auch hier stellte die Jury ganz klar Musikalität und Ausdruck über technische Perfektion, was aber nach einhelliger Meinung von Publikum und Fachpresse die richtige Entscheidung war.
Die Plätze 4 bis 6 gingen an den Ukrainer Oleksiy Shadrin, den Serben Petar Pejcic und den Kanadier Bryan Chang. Sie alle ließen bei ihren Finalauftritten die eine oder andere Ungenauigkeit erkennen, überzeugten aber allesamt auf musikalischem Gebiet.
Publikumspreise für Stéphanie Huang
Unsere Landsfrau Stéphanie Huang schaffte es mit ihrer Interpretation des Pflichtwerks und des Cellokonzerts von Antonín Dvořák leider nicht auf einen der vorderen sechs Plätze, genau wie ihre Schwester Sylvia beim Königin-Elisabeth-Wettbewerb für Violine vor drei Jahren; aber ebenso wie ihre Schwester begeisterte Stéphanie Huang das heimische Publikum so sehr, dass sie beide Publikumspreise von Musiq3 und Klara gewann. Zugegeben - ein wenig Nationalstolz mag bei dieser Entscheidung mitgeholfen haben, aber auf musikalischem Gebiet ist die sympathische Cellistin aus dem Hennegau im Lauf der letzten Wochen sehr an ihrer Aufgabe gewachsen und hat die Herzen der Zuhörer im Sturm erobert.
A propos Zuhörer: Mit der Ausgabe 2022 ist der Königin-Elisabeth-Wettbewerb zur Nach-Corona-Normalität zurückgekehrt, mit Publikum im Saal und wieder zwölf Finalisten statt deren sechs wie im vergangenen Jahr. Zurück bleibt die Erkenntnis, wie wichtig das Publikum und dessen Reaktion für die Leistung der Kandidaten ist, und vor allem welch wohltuende Belohnung ein lauter und ehrlicher Applaus für jeden Teilnehmer darstellt.
Ausruhen können sich die Preisträger eines der härtesten Solistenwettstreits der Welt jetzt aber noch nicht von den wochenlangen Strapazen, denn traditionell folgen in den nächsten Tagen und Wochen Konzertverpflichtungen in ganz Belgien. Den Anfang machen schon am Mittwoch und Donnerstag die Laureaten, also diejenigen der Finalisten, die nicht auf den ersten sechs Plätzen gelandet sind. Sie werden bei verschiedenen Konzert-Rezitalen in Brüssel zu hören sein. Die vierten, fünften und sechsten Preisträger werden dann am Samstag gemeinsam mit dem Antwerp Symphony Orchestra konzertieren, bevor dann im Lauf der kommenden Woche die ersten drei Preisträger mit dem Belgian National Orchestra auftreten werden. Dann werden wir auch Hayoung Choi wiederhören, eine Künstlerin, die die Klassikwelt hoffentlich noch lange begeistern wird.
Nächstes Jahr ist der Königin-Elisabeth-Wettbewerb dem Gesang gewidmet.
Patrick Lemmens