Eigentlich sollte man meinen, dass viele hungrig sind aufs Feiern - gerade nach einer so langen Pause. Besonders die kleinen und mittleren Festivals haben es im Moment aber schwer, ihr Publikum zu finden. Die ganz großen Festivals Rock Werchter und Tomorrowland leben weiter in einer anderen Welt und sind hingegen jetzt schon ausverkauft.
Dass der Festival-Drang doch nicht so groß ist, wie gedacht, ist wohl auf mehreren Faktoren zurückzuführen. Vielleicht gibt es ein Überangebot, weil dieses Jahr auch viele Festivals neu an den Start gegangen sind oder gehen wollten. Auf der anderen Seite werden in diesem Jahr auch viele Familienfeste nachgeholt, die während Corona nicht stattfinden konnten. Und den Euro kann man halt nur einmal ausgeben. Das gilt umso mehr, weil ohnehin alles viel teurer geworden ist - das Leben allgemein und auch die Festivaltickets. Rock Werchter und Pukkelpop beispielsweise haben die Ticketpreise dieses Jahr auch stark angehoben.
Die Organisatoren reagieren unterschiedlich auf die neue Situation. Eine Möglichkeit ist: absagen. Es sollte in diesem Jahr mit Werchter Encore ein zusätzliches Festival auf dem Rock Wechter Gelände geben. Das findet nun nicht statt, weil zu wenig Tickets verkauft wurden. Die Künstler spielen jetzt bei TW Classic. Niko Vanderschelden ist selbst Festivalorganisator und für ihn lässt diese Absage tief blicken. Live Nation ist nun mal der größte Konzertveranstalter Belgiens und wenn selbst der Schwierigkeiten hat, dann ist das ein landesweites Phänomen.
Absagen ist aber nicht immer eine Option. Manche Veranstalter wie Niko Vanderschelden werden auch kreativ. Vanderschelden organisiert das Moen-Festival am kommenden Wochenende in West-Flandern. Headliner ist James Blunt - also schon einer der großen Namen. Trotzdem hat das Festival nur zwei Drittel der geplanten Tickets verkauft. Daher darf nun jeder, der ein Ticket hat, eine zweite Person mitnehmen - Freund, Bruder, Schwester, wen auch immer. Einfach, damit die Festivalwiese voller wird.
Das bringt zwar kein Geld ein über den Ticketverkauf, aber eine zusätzliche Person sorgt in der Regel über Essen und Getränke für mehr Umsatz. Niko Vanderschelden hat daher noch keine Existenzängste. Als Veranstalter hat er sich auf mehrere Szenarien vorbereitet, es gibt auch Rücklagen aus den Vorjahren, aber eine Wow-Ausgabe wird das Moen Feest dieses Jahr sicher nicht.
Fragt man die Kenner der Branche, dann sind es auch nicht unbedingt die Stars, die ein Festival zum Erfolg machen. Es geht viel mehr um das Gesamterlebnis. Da spielt die Musik zwar eine Rolle, aber eben nicht die einzige. Mindestens genauso wichtig sind das gesellige Zusammensein und das Festival-Feeling. Rock Werchter und Tomorrowland sind ja mitunter schon ausverkauft, wenn noch gar nicht feststeht, wer überhaupt spielen wird. Einfach weil viele wissen: Das wird so oder so ein Erlebnis.
Das Rijvers-Festival in Lievegem in der Nähe von Gent verfolgt noch einen anderen Ansatz und will Familien anlocken. Da ist das Line-up dann so gestaltet, dass für alle Altersgruppen Bands auftreten, also flämische Newcomer-Stars für die Kinder und alte Rockstars wie Clouseau für die Eltern.
vrt/hln/okr