Das Kulturzentrum Flagey in Brüssel wird alljährlich im Mai zum Mekka der Klassik, zumindest was junge Solisten-Talente betrifft. So auch in diesem Jahr, in dem der Königin-Elisabeth-Wettbewerb für Cello ausgerichtet wird. In der vergangenen Woche kam der internationalen Jury die schwierige Aufgabe zu, aus den insgesamt 66 Kandidaten der ersten Runde die ihrer Meinung nach besten herauszusuchen, insgesamt 24 an der Zahl. Um ihre Aufgabe sind die Juroren wahrlich nicht zu beneiden, denn wer als junger Solist zu diesem international höchst renommierten Wettstreit überhaupt erst zugelassen wird, hat schon per se ein großes Talent und gehört zu den besten jungen Musikern seiner Generation.
Belgierin Stéphanie Huang im Halbfinale
Aber die Jury hat ihre Wahl getroffen und seit Sonntagmorgen sind die Halbfinalisten bekannt. Es handelt sich um acht junge Damen und 16 junge Männer im Alter von 19 bis 29 Jahren. Und was uns Belgier ganz besonders freuen dürfte: Auch die einzige belgische Kandidatin in der Vorrunde, die 26-jährige Stéphanie Huang, hat die strenge Auswahl überstanden und darf weiter von einem Platz im Finale träumen, so wie ihre ältere Schwester Sylvia das vor drei Jahren bei der letzten Ausgabe des Königin-Elisabeth-Wettbewerbs für Violine geschafft hat.
Bei ihrem Erstrunden-Auftritt am vergangenen Montag überzeugte Stéphanie Huang die Jury mit einem tiefen Gefühl für kammermusikalisches Zusammenspiel mit ihren Begleiterinnen - eine Qualität, die sie auch regelmäßig in ihrem Cello-Oktett Ô-Celli unter Beweis stellt. Und selbst in der Solo-Sonate von Eugène Ysaÿe entfaltete sie einen herrlichen Dialog mit sich selbst - eine Leistung, die ihr also einen verdienten Platz unter den letzten 24 Kandidaten des Wettbewerbs einbrachte.
Konzert und Rezital sind im Halbfinale gefordert
In dieser Woche präsentiert nun jeder dieser 24 Halbfinalisten ein Konzert für Cello und Orchester und ein Rezital mit Klavierbegleitung. Diese beiden Teile des Halbfinalauftritts jedes Kandidaten finden getrennt voneinander statt. An jedem Tag in dieser Woche gibt es zwei sogenannte Sitzungen, eine am Nachmittag und eine am Abend. Und bei jeder dieser Sitzungen präsentieren zwei Halbfinalisten ihr Konzert, bei dem sie vom Orchestre de Chambre de Wallonie unter der Leitung von Vahan Mardirossian begleitet werden. Nach einer kurzen Pause folgt dann das Rezital von zwei anderen Kandidaten.
Als Werke für den Auftritt mit Orchester standen den Teilnehmern des Wettbewerbs die beiden Cello-Konzerte von Joseph Haydn zur Auswahl. Für das Rezital mit Klavier galt es, ein Programm nach Wahl zusammenzustellen, das allerdings mindestens eine Sonate für Cello und Klavier beinhalten sollte. Außerdem gibt es ab dem Halbfinale ein Pflichtwerk für alle Kandidaten, das speziell für den diesjährigen Concours Reine Elisabeth komponiert wurde.
Pflichtwerk vom belgischen Komponisten Daan Janssens
In diesem Jahr wurde das Pflichtwerk des Halbfinales von dem jungen belgischen Komponisten Daan Janssens geschrieben. Es trägt den vielsagenden Titel „Wie aus der Ferne“. Die Partitur dieses neuen Werks wurde allen Teilnehmern übrigens schon vor einigen Monaten übermittelt, sodass sie es schon vor Beginn des Wettbewerbs einstudieren konnten. Im Gegensatz dazu werden die Kandidaten das Pflichtwerk des Finales erst nach Bekanntgabe der zwölf Finalisten am kommenden Wochenende entdecken können.
Als besondere Schwierigkeit im Halbfinale gibt es noch die Tatsache, dass jeder Halbfinalist insgesamt zwei komplette Rezitale mit einem unterschiedlichen Programm vorbereiten muss, von denen die Jury dann eines für den eigentlichen Auftritt auswählt. Gemeinsam mit den Werken für die Vorrunde und für einen eventuellen Finalauftritt ergibt dies einen enormen Arbeitsaufwand für die Teilnehmer am „Concours Reine Elisabeth“ - ein Grund mehr, wieso dieser Wettstreit zu den schwierigsten und renommiertesten der Welt gehört.
Das Halbfinale des Königin-Elisabeth-Wettbewerbs 2022 für Cello beginnt also am Montagnachmittag und läuft noch bis Samstagabend. Nach dem Auftritt des letzten Kandidaten wird die Jury dann die zwölf Finalisten bekanntgeben, die dann erst einmal einige Tage Zeit haben werden, um ihren Finalauftritt vorzubereiten. Das Finale findet ab dem 30. Mai im Brüsseler Palais des Beaux-Arts statt, in Begleitung des Brussels Philharmonic unter der Leitung ihres Chefdirigenten Stéphane Denève.
Patrick Lemmens