Die Kandidaten, die trotz der Pandemie in diesem Jahr am Wettbewerb teilnehmen, kommen aus 16 verschiedenen Ländern. Es handelt sich um neun Frauen und 49 Männer im Alter von 20 bis 31 Jahren, die sich - seien wir ehrlich - nur unter sehr schweren Bedingungen auf diesen Meilenstein in ihrer Karriere vorbereiten konnten. Seit über 14 Monaten gibt es kaum noch Konzerte, bei denen junge Talente vor Publikum auftreten und Spielpraxis sammeln können. Außerdem es ist sehr schwierig zu reisen, sich bei großen Pianisten weiterzubilden und sich mit deren Unterstützung konkret auf einen Wettbewerb vorzubereiten.
Dennoch sind ausnahmslos alle jungen Künstler, die diese Woche um einen der zwölf Halbfinalplätze wetteifern, äußerst motiviert, nachdem sie sich nun schon so lange auf diese wichtige erste Runde des Wettstreits vorbereitet haben. Davon zeugen auch die teilweise sehr hochklassigen Auftritte, die wir diese Woche schon erleben durften. Jeder der Teilnehmer spielt in einem etwa 20-minütigen Programm einen Teil einer Sonate von Beethoven, Mozart oder Haydn, eine oder zwei Etüden aus einer vorgegebenen Liste von Komponisten, und ein Werk seiner Wahl. 20 Minuten, die für diese aufstrebenden jungen Menschen von kapitaler Bedeutung sind. Vergessen wir nicht, dass für 46 von ihnen nach dieser ersten Runde Schluss sein wird, da nur zwölf Plätze für das Halbfinale vergeben werden, statt wie in anderen Jahren 24. Diese Beschränkung war notwendig, um vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie für alle Teilnehmer und Organisatoren einen sicheren Wettbewerb unter den geltenden sanitären Einschränkungen organisieren zu können.
Stichwort Corona: Nicht nur die Kandidaten müssen sich umstellen, da sie auf der Bühne des großen, 862 Zuschauerplätze fassenden Konzertsaales ganz ohne Publikum konzertieren müssen; auch die Mitglieder der international und hochkarätig besetzten Jury sitzen mit großem Abstand zueinander im ganzen Saal verteilt und tragen permanent einen Mund- und Nasenschutz. Auch sonst sind die Juroren nicht zu beneiden: Sie müssen immerhin den übergroßen Teil der Kandidaten aussortieren und nur die allerbesten zum Halbfinale zulassen. Angesichts des bisher sehr hohen Niveaus der diesjährigen ersten Runde ist das sicherlich keine leichte Aufgabe. Zwischen den einzelnen Auftritten der Kandidaten wird die Klaviatur des Flügels übrigens sorgfältig desinfiziert, mit einem speziellen Produkt, das von der Herstellerfirma Steinway & Sons eigens hierfür entwickelt wurde und welches das empfindliche Material dieses überaus wertvollen Instruments nicht angreift.
Aber die größte Umstellung trifft wohl diejenigen Zuhörer, die unter normalen Umständen im Zuschauerraum in Brüssel Platz genommen hätten, um die Wettstreitatmosphäre sozusagen hautnah mitzuerleben. Sie müssen sich jetzt mit einem Platz vor ihrem Computer begnügen, um die hochstehenden Leistungen zu beobachten, die es durchaus auch schon in dieser Woche gegeben hat. Sicherlich ist es von Vorteil, wenn eine professionelle Bildregie und eine hervorragende Tonaufnahme jeden einzelnen der Kandidaten perfekt in Szene setzt. Somit ist auch jenem Musikliebhaber gedient, der sich nicht eine ganze Woche lang in einen Konzertsaal setzen kann, um hochklassige Klaviermusik zu genießen, sondern der sich abends den Livestream in der Wiederholung ansehen und anhören kann. Das Erlebnis im Konzertsaal, die Atmosphäre und den regen fachlichen Austausch mit anderen Zuhörern in den Pausen kann eine Live-Übertragung in Fernsehen und Internet dennoch nicht ersetzen.
Noch bis Samstagabend läuft die erste Runde des Königin Elisabeth-Wettbewerbs für Klavier, dann werden wir wissen, welche zwölf Talente ab Montag um den Einzug ins Finale wetteifern werden, das dann ab dem 24. Mai im Palais des Beaux-Arts in Brüssel stattfindet.
Patrick Lemmens