Gut 100 Besucher haben im Großen Haus des Theaters Aachen Platz nehmen dürfen. Jede zweite Sitzreihe blieb frei, zwischen den einzelnen Kontaktblasen waren mindestens zwei Plätze nicht besetzt. Ein- und Ausgänge waren streng geregelt, Mund- und Nasenmaske selbstverständlich Pflicht. Nur unter diesen Vorgaben war es coronabedingt überhaupt erlaubt Musiktheater anzubieten. Dies aber auch nur bis Sonntagabend. Seit Montag ist die Kultur in Aachen im Lockdown.
Die Zahl der an Covid-19 Erkrankten ist erschreckend hoch und die Situation auf den Intensivstationen in den Krankenhäusern mehr als alarmierend. Da ist natürlich Solidarität gefragt und da ist auch nicht verwunderlich, dass das Kulturleben für eine bisher unbestimmte Zeit wieder lahmgelegt wird. Andererseits ist es aber nur schwer nachvollziehbar. In den letzten Wochen haben wir es immer wieder feststellen dürfen: Die Theater, Konzertsäle, Opernhäuser, alle professionellen Kulturveranstalter befolgen peinlichst genau die Sicherheits- und Hygienevorschriften und das ist mehr als normal.
So konnte man am Sonntag die Enttäuschung von Aachens Generalintendanten Michael Schmitz-Aufterbeck bei der Begrüßung des Premierenpublikums verstehen - vor allem gingen seine Worte und Gedanken an die frei schaffenden Künstler und, dass die Kultur bei den getroffenen Maßnahmen bisher so gut wie keine Rolle spielt, ärgert ihn zurecht. Auch Brüssels Operndirektor Peter De Caluwe reagierte vor gut einer Woche erbost auf die Absetzung der gerade angelaufenen Produktion von Korngolds "Die tote Stadt" und die Lütticher Oper traf es besonders hart, denn zum zweiten Mal musste eine Aufführungsreihe zwei Tage vor der Premiere abgesagt werden - im März "La Sonnambula" und jetzt "Hamlet" von Ambroise Thomas.
Da war man schon glücklich und froh, dass "La Calisto" überhaupt die Premiere erlebte. Die Produktion war absolut covid-konform. Die 14 Musiker des Sinfonieorchesters Aachen saßen mit genügend Abstand untereinander ebenerdig zum Parkett vor der Bühne und auch die Inszenierung von Ludger Engels schien den Vorgaben entsprechend gedacht: Die Sängerinnen und Sänger hielten Abstand voneinander und trotzdem gelang Engels eine sehr klare und intensive Personenführung. Er konnte auf ein spielfreudiges, zum größten Teil junges, Ensemble zählen, das durch kleine choreographische Einlagen dem Ganzen den notwendigen Schwung und Witz verlieh.
Handlung war ebenso anrührend wie humorvoll.
Jupiter hat, um die Freveltaten der Menschen zu strafen, ein Feuer auf der Erde wüten lassen. Nun ist er mit Merkur herabgestiegen, um dem verwüsteten Land neues Leben zu schenken. Dabei begegnet ihm die Nymphe Calisto. Jupiter verliebt sich sogleich in sie. Doch sein Werben um Calisto bleibt vergeblich, denn Calisto hat als treue Begleiterin der Jagdgöttin Diana Keuschheit gelobt. Auf Anraten Merkurs nähert sich Jupiter ihr nun in der Gestalt Dianas. Der Schwindel gelingt - und eröffnet ein herrliches Wechselspiel von Verführung und Zurückweisung. Natürlich ruft dies auch Juno, die Gattin Jupiters auf den Plan. Rasend vor Eifersucht verwandelt sie Calisto in einen Bären. Aber Jupiter schenkt ihr später wieder ihre menschliche Gestalt und am Ende wird Calisto in den Himmel auffahren.
Die Musiker des Sinfonieorchesters Aachen haben sich in den letzten Jahren sehr intensiv mit historisch informierter Aufführungspraxis auseinandergesetzt. Dies zeitigte jetzt unter dem sehr ausdrucksstarken Dirigat von Christopher Bucknall, der selbst auch eines der Cembali spielte, seine Früchte. Aus dem insgesamt sehr überzeugenden Ensemble ragten vor allem die Mezzosopranistin Fanny Lustaud als Diana, Hyunhan Hwang als Merkur und Fabio Lesuisse als Jupiter heraus. Lesuisse sang nicht nur mit fein geführtem Bariton die Partie des Göttervaters sondern steigt mit überraschender Tonsicherheit ins Falsett zur Verkörperung der Diana. Die Krone gebührte aber Suzanne Jerosme als stets glaubwürdige Calisto. Das Theater Aachen darf sich glücklich schätzen, eine solch vielseitig begabte Sängerin zu seinem Ensemble zählen zu dürfen.
Das Bühnenbild erinnerte an eine stylige Diskothek der 1980er Jahre, die Kostüme waren ebenso farbenfroh wie extravagant und den einzelnen Personen schlüssig entsprechend. Ein wenig störend wirkten nur die kurzen eingespielten elektronischen Sounds zwischen den einzelnen Szenen. Aber dies konnte den sehr positiven Gesamteindruck nur unmerklich schmälern.
Jetzt ist nur zu hoffen, dass tatsächlich am 9. Dezember die nächste Vorstellung stattfinden kann. Die Produktion hat es mehr als verdient.
Hans Reul