Die Arbeiten an "Abbey Road", wie die Langspielplatte genannt wurde, standen unter keinem guten Stern. Die Stimmung in der Band war nicht gerade gut. Aber "Abbey Road" entwickelte sich dennoch zu einem künstlerisch und kommerziell erfolgreichen Meisterwerk und zu einem gelungenen Abgesang der Beatles.
"Eigentlich sollte das Album "Everest" heißen - symbolisch natürlich. Die Beatles auf dem Gipfel ihrer Karriere", erklärt der Anglist und Beatles-Experte Jörg Helbig. "Und man hatte tatsächlich vor, zum Himalaya zu fliegen und dort das Foto für das Albumcover zu schießen. Auf dem Gipfel des Mount Everest."
Zu einer Fotosession auf dem "Dach der Welt" kam es jedoch nicht. Die vier Musiker steckten mitten in der Arbeit an ihren neuen Songs und hatten keine Lust, sich auf diese weite Reise zu begeben.
Und so entstand das Foto für die wohl bekannteste Schallplattenhülle der Musikgeschichte im Londoner Stadtteil Westminster. "Man engagierte den Fotografen Iain Macmillan. Die Kreuzung vor den Abbey Road Studios, dieser berühmte Zebrastreifen, wurde von der Polizei eine viertel Stunde abgesperrt, die Beatles überquerten den Zebrastreifen ein paar Mal und nach fünfzehn Minuten war das Ganze erledigt", weiß Helbig.
Wilde Spekulationen
Das legendäre Coverfoto bot Anlass für wilde Spekulationen. Seit ein paar Jahren kursierte unter einigen Fans das Gerücht, Beatle Paul McCartney sei bei einem Autounfall ums Leben gekommen und durch ein Double ersetzt worden. Dass Paul auf dem Foto als einziger der vier Bandmitglieder barfuß ging und als Linkshänder die Zigarette in der rechten Hand hielt, sollte für diese verrückte These sprechen.
Die Studios in der Londoner Abbey Road waren für Paul McCartney, John Lennon, George Harrison und Ringo Starr zur zweiten Heimat geworden. Dort hatten sie 1962 ihren Erfolg begründet, dort waren seitdem fast alle Beatles-Songs entstanden.
Sieben Jahre später war die Stimmung in der Band auf einem Tiefpunkt angelangt. Jeder ging privat seiner eigenen Wege. Auch musikalisch stimmte die Harmonie nicht mehr. Von den Songs, die die Vier bereits Anfang 1969 für das Album "Let it be" aufgenommen hatte, das aber erst im März 1970, nach der offiziellen Trennung der Beatles veröffentlicht wurde, war niemand so recht überzeugt.
"Es war wahrscheinlich das schlechteste Album, das die Beatles je produziert haben", meint Helbig. "Und sie sagten dann: So wollen wir nicht abtreten. So wollen wir nicht in Erinnerung bleiben. Und sie waren dann Profis genug, um sich noch einmal zusammenzureißen und gemeinsam ins Studio zu gehen und eine gemeinsame Platte zu produzieren, die dann auch die entsprechende Qualität hatte."
Meinungsverschiedenheiten
Die Zusammenarbeit der Beatles-Chefdenker Lennon und McCartney, die jahrelang gut funktioniert hatte, wurde bei den Aufnahmen an "Abbey Road" durch ständige Meinungsverschiedenheiten auf eine harte Probe gestellt. Dass zu all dem auch noch Lennons Frau Yoko Ono Dauergast im Studio war und die Aufnahmen ständig kommentierte, machte die Sache nicht einfacher.
"Sie lag die ganze Zeit im Bett. Man hatte extra ein Bett im Studio aufgestellt und sie lag da im Negligé, angeblich, um sich zu regenerieren", erklärt Helbig. "Die Lennons hatten kurz vorher einen Autounfall in Schottland. Und diese Anwesenheit von Yoko Ono hat die drei anderen Beatles tatsächlich sehr genervt."
Das beste Beatles-Album
Trotz der angespannten Atmosphäre waren schließlich alle mit dem Ergebnis zufrieden. Für viele Musikkritiker ist "Abbey Road" das beste Beatles-Album. Am 26. September 1969 wurde es veröffentlicht und entwickelte sich mit über dreißig Millionen verkauften Exemplaren zu einem wahren Kassenschlager.
George Harrison, dessen Kreativität oft im Schatten von Lennon und McCartney gestanden hatte, war darauf mit gleich zwei Songs vertreten und Ringo Starr durfte sich nicht nur als Sänger, sondern auch zum ersten Mal mit einem Schlagzeug-Solo präsentieren.
Auch sonst gaben sich die Vier ungewohnt experimentierfreudig, nutzten einen Synthesizer, ergötzten sich an genialen Gitarrensoli und erlaubten sich die künstlerische Freiheit, die Songs auf der zweiten Platten-Seite nahtlos ineinander fließen zu lassen.
Für "Abbey Road" standen die vier Beatles zum letzten Mal gemeinsam im Studio. Ein Stück des Albums heißt daher wohl programmatisch "The End" mit einer Schlusszeile, die wie ein Nachruf klingt: "In the end the love you take is equal to the love you make." Was gibt es Schöneres, als diesen Schlusssatz zum Werk der Beatles.
Alfried Schmitz