Tito ist der Inbegriff des aufgeklärten Herrschers, er möchte im Einklang mit seinem Volk leben und wird letztendlich mit sehr viel Milde auf die Ränkespiele der umtriebigen Vitellia reagieren. Mozart komponierte seine Oper für die Festlichkeiten zur Krönung von Kaiser Leopold II. Dies entspricht der humanistischen Sicht Mozarts, der parallel zu "La Clemenza die Tito" die "Zauberflöte" vollendete.
Die Oper ist laut Titel eine Opera seria, aber es ist weit mehr als nur eine Abfolge von Rezitativen und kunstvollen Arien, wie sie sonst für dieses Operngenre üblich ist. Sicher, wir finden auch hier zahlreiche Rezitative, die für den Fortlauf der Handlung wichtig sind. Mozart setzt sie aber auch musikalisch interessant in Szene und die Arien und Ensembleszenen haben die Qualität, die er schon bei "Don Giovanni" oder "Cosi fan tutte" unter Beweis stellte.
Besonderen Wert legt Mozart auf die musikalische Charakterisierung der sechs Protagonisten, wie Dirigent Thomas Rösner uns schon vorab im Interview erklärte: "Vitellia ist eine Art Rachegöttin, die erst zum Schluss eine weiche menschliche Seite bekommt, als sie sieht, dass Sesto, den sie benutzte, um Kaiserin zu werden, für sie in den Tod gehen würde, da zeigt sie erstmals eine menschliche Regung. Servilia ist die junge verliebte ehrliche Frau, die Tito gesteht, dass sie jemand anderen liebt und Tito ist die gütige Person, eine komplexe Gestalt die szenisch wie musikalisch eine besondere Herausforderung ist."
Cécile Roussat und Julien Lubek haben für den ersten Akt eine bunte Fantasy-Welt kreiert, in der die einzelnen Personen mythologische Gestalten sind. Tito kommt als Zentaur daher, also halb Mensch halb Pferd und man muss Leonardo Cortelazzi bewundern, wie er nicht nur vortrefflich die Klippen seiner Tenorpartie meistert, sondern auch einigermaßen elegant in einem mechanischen Kostüm die Hinterbeine des Pferdes bewegt.
Überhaupt wird den Sängerinnen und Sängern körperlich einiges abverlangt: Cecilia Molinari muss als Annio an Seilen schwebend einige Arien singen, Patricia Ciofi klettert als Vitellia im zweiten Akt, bei dem sich der Urwald in eine karge Felslandschaft verwandelt hat, auf einen kahlen Felsen. Da war bei der Premiere fast ein kleiner Sturz zu befürchten. Roussat und Lubek lieben solche akrobatischen Intermezzi. Was bei ihren Lütticher "Zauberflöte"- und "Cenerentola“-Inszenierungen auch durchweg Sinn ergab, ist mir in La Clemenza di Tito ein Ticken zu viel.
Mit ihrer achtköpfigen Akrobatik-Truppe kreieren sie unzählige Bilder. So wird gesprungen und an Seilen geklettert, als ob es darum ging, sich für die Olympischen Spiele zu qualifizieren, aber der Geschichte gibt dies alles keinen zusätzlichen Input. Schade, denn das Sängerensemble ist so gut - allen voran Anna Bonitatibus, die am Premierenabend für ihre Interpretation des Sesto mit Ovationen bedacht wurde - dass es genügt hätte, ihnen und der Musik Mozarts zu vertrauen.
Vor allem die Holzbläser des Orchesters der Königlichen Oper der Wallonie zauberten feinste Momente aus dem Orchestergraben. Hervorzuheben sind hier der Klarinettist und die Bassetthornspielerin. Chapeau, das hatte Konzertreife. Thomas Rösner ist am Dirigentenpult ein aufmerksamer Begleiter, dem es nach anfänglich leichter Unausgewogenheit zwischen Graben und Bühne sehr bald glückte, ein transparentes Mozart-Bild zu schaffen.
Bis zum 24. Mai steht "La Clemenza di Tito" auf dem Spielplan der Lütticher Oper.
Hans Reul