Am ersten probenfreien Tag setzte ich mich in den Bus, um in das nur eine Fahrstunde von Tel Aviv entfernte Jerusalem zu fahren. In den meisten Reisehitlisten der Orte, die man in seinem Leben gesehen haben "muss", steht Jerusalem an vorderster Stelle. Schon die Anfahrt just am Tag der Unabhängigkeit war bewegend. Um 11:00 Uhr heulten zu Ehren des Unabhängigkeitstags für zwei Minuten die Sirenen. Die Fahrzeuge hielten landesweit, auch auf der Autobahn an, die Insassen stiegen aus und verharrten in Andacht, dazu erklangen die Sirenen. Das sind Momente, die ich wohl nie vergessen werde.
Unvergesslich ist aber auch in der Tat Jerusalem, eine Stadt, die man nicht mit Worten beschreiben kann. Diese Eindrücke überwältigen einen förmlich. Die Altstadt ist in verschiedene Viertel aufgeteilt, ein christliches, ein muslimisches, ein armenisches und ein jüdisches Viertel. In der pulsierenden Altstadt mit den unzähligen basarartigen Läden, aus denen es nach Gewürzen duftet, die ich noch nie gerochen oder gesehen habe, in denen aber auch oft nur Socken verkauft werden, Teppiche, Schmuck, Kleidung und alles, was man sich nur vorstellen kann, bedeutet bisweilen ein Schritt über die imaginäre Grenze das Abtauchen in eine völlig andere Welt.
Jedes Viertel hat seine Eigenarten, seine Gerüche, seinen Stil und so wird Jerusalem zu einem einzigartigen Schmelztiegel der Kulturen. Gewalt oder Aggression konnte ich hier an keinem Ort spüren, auch war ich überrascht, dass die Sicherheitsvorkehrungen entweder so unsichtbar waren, dass ich sie nicht bewusst wahrnehmen konnte oder dezent im Hintergund blieben. Gleichwohl patroullieren auch hier schwer bewaffnete Polizisten an den Eingängen der Altstadt und an dem wohl bedeutendsten religiösen Punkt, dem Zugang zu dem Felsendom, an dessen Fuße sich die legendäre Klagemauer befindet, die übrigens ganz streng für Männer und Frauen getrennt ist.
Keiner kann sich wohl dieser Atmosphäre entziehen, einer ganz eigenartigen Aura, die von diesen heiligen, so umkämpften, so geschichtsträchtigen Gemäuern, Gebäuden, Kirchen, Tempeln, Gebetshäusern ausgehen. Allerorten Ergriffenheit, die aber nicht bedrückend wirkt, sondern auf mich einen offen ehrfürchtigen Eindruck machte.
Es gibt einen besonderen Ort, den ich unbedingt besuchen wollte: Das Grab Oskar Schindlers. Seine Geschichte hat mich sehr berührt und der Besuch auf dem katholischen Friedhof auf dem Zionsberg erfasst mich mit Ehrfurcht. In der Ferne sieht man von hier aus die Betonmauer, die Israel und das Westjordanland trennt und ich wünsche mir in diesem Moment, dass doch endlich alle Mauern eingerissen werden können.
Insbesondere, wo doch nur eine Stunde entfernt der ESC stattfindet, das größte Musikfest der Welt. Wenigstens die Musik kann und wird wieder Völker verbinden. Und das zum 64. Mal.
Vieles erinnert auch an den Song Contest 1999, der hier stattfand: Wie zum Beispiel der Hamburger-Imbiss, der seitdem existiert. Und gleich daneben finde ich doch tatsächlich echte belgische Waffeln.
Die Eindrücke muss ich jetzt erst einmal alle verarbeiten. Und ich gebe zu, das ein oder andere muss ich googeln, denn auch, wenn ich die verschiedenen Orte schon als Kind in der Bibel gelesen und gelernt habe, ist doch einiges ein bisschen in Vergessenheit geraten.
Slalom aus Jerusalem!
Biggi Müller