Wenn man den Saal 1 des Staatenhaus betritt, fällt der Blick gleich auf die riesige Rückwand der Bühne: Man sieht ein unglaubliches Chaos, das sich aus unzähligen kleinen und größeren Abfallprodukten wie einem kaputten Boot, einem Flugzeug, einem Autowrack, aus Koffern, Tüten und allem nur erdenklichen Zivilisationsmüll zusammensetzt. Davor, zum Publikum hin, eine Art Laufsteg. Rechts der Bühne sitzen die Streicher und Bläser des Gürzenich Orchesters, links die Schlagwerker und der Pianist.
Zu den ersten Klängen des Orchesters betreten die Choristen die Bühne. Sie lassen uns gleich an Flüchtlingsströme denken. Gürbaca versetzt uns in die Jetztzeit, nicht ins 15. Jahrhundert, in dem Jeanne d'Arc lebte. Johanna folgt gegen den Willen ihres Vaters dem Ruf, den Dauphin Karl nach Reims zu führen, das Volk hofft auf Johanna als Retterin und sie reißt alle mit ihrer Begeisterung mit. Ihr gelingt es, Orléans zu befreien, aber ihre Gegner stehen schon in den Startlöchern. Sie möchten sich Johannas entledigen und tatsächlich misslingt Johannas Versuch, auch Paris zu befreien.
Johanna widerruft und die Menschen, die an sie geglaubt haben, verlieren ihre Zuversicht. Johanna wird von Zweifeln und Visionen geplagt. Sie wird den Widerruf widerrufen und behauptet, von Gott gesandt zu sein. Für diese Ungeheuerlichkeit wird sie zum Tode verurteilt. In der Schlussszene findet das Volk in der Asche das unversehrte Herz Johannas und preist dieses Wunder.
Szenen aus dem Leben der heiligen Johanna hat der Komponist Walter Braunfels seine Oper überschrieben. Und man kann Parallelen zu Braunfels eigenem Schicksal erkennen. Der Halbjude Braunfels war von den Nazis all seiner Ämter enthoben worden, verbrachte die Jahre nach 1938 in Überlingen am Bodensee, wo er dann auch bis 1942 seine Oper "Jeanne d'Arc" schrieb. Nach dem Krieg holte Konrad Adenauer ihn wieder zurück an die Musikhochschule Köln. Die Musik von Walter Braunfels ist, so darf man fast sagen, zweimal "verbannt" worden, zunächst von den Nazis, nach dem Krieg galt Braunfels als zu traditionell. Seine Tonsprache ist von Neoklassizismus und postromantischen Ansätzen durchzogen. Erst seit ein paar Jahren erfährt Braunfels die verdiente Wiederentdeckung.
Umso erfreulicher ist es da, dass die Kölner Oper "Jeanne d'Arc" von Braunfels jetzt erneut ins Programm aufgenommen hat, nach der Wiederentdeckung im selben Haus vor drei Jahren. Tatjana Gürbaca gelingt eine packende Inszenierung, die zum einen aktuelle Bezüge aufweist, zum anderen auch nicht mit Witz und ironischer Brechung spart. Das Ensemble spielt und singt mit begeisterndem Engagement, allen voran Juliane Banse in der Titelpartie.
Insgesamt listet das Programmblatt nicht weniger als 19 Solisten auf. Hervorheben möchte ich hier Oliver Zwarg als Gilles de Rais. Trotz der alles andere als akustisch günstigen Vorgabe des Staatenhaus überzeugt das Orchester unter der Leitung von Stefan Soltesz.
Da "Jeanne d'Arc" wohl so bald nicht mehr auf den Spielplänen der Opernhäuser auftauchen wird, kann man nur dringend einen Besuch in Köln empfehlen. Bis zum 4. Mai steht die Oper noch vier Mal auf dem Programm der Kölner Oper.
Hans Reul