Ennio Morricone winkt ab, wenn es um Fragen nach seinem Geburtstag geht. Seinen 90. (10. November) will er im Familienkreis feiern. Aber er wird an großen Würdigungen nicht vorbeikommen. Denn ohne Morricone wären viele Filme schlicht seelenlos. Der italienische Komponist hat es nicht nur geschafft, Kojotengeheul, rauchende Colts und galoppierende Pferde für Western-Klassiker zu vertonen. Seine Musik ist nicht Begleitwerk des Films, sondern eine eigenständige Kunst. Wer sie hört, muss eigentlich gar nicht ins Kino gehen. Und wer sie hört, trägt einen Ohrwurm davon.
Denn die Bilder entstehen schon mit den ersten Tönen im Kopf: Clint Eastwood legt die Knarre an, schießt, reitet am Horizont entlang. Filme wie "Die glorreichen Halunken", "Eine Handvoll Dollar" oder "Spiel mir das Lied vom Tod" wurden zur Legende. Morricone wird für immer mit den Italo-Western von Regisseur Sergio Leone in Verbindung bleiben. Die beiden waren zwar zusammen in der Grundschule in Rom, verloren dann aber den Kontakt. Ein Glücksfall für die Filmgeschichte, dass sie sich in den 60er Jahren wieder trafen. "Wir waren in der Schule keine Freunde, aber wir sind es in diesem Moment geworden", erzählt Morricone in einem neuen Interviewbuch.
Perfektionist
Ein Perfektionist ist Morricone, manche sagen ein Besessener. "An der Melodie arbeitet man. Oft habe ich geschrieben und dann habe ich eine Note geändert, weil mir genau diese Note unerträglich auf den Sack ging", erzählte er. Über all der Arbeit in den vergangenen Jahrzehnten habe er seine Frau vernachlässigt. "Es ist wirklich richtig schade, dass ich nicht mehr Zeit mit (...) Maria verbracht habe." Viel mehr Zeit habe er Orchestern und Regisseuren geschenkt.
Es heißt, Morricone habe schon als Sechsjähriger zu komponieren begonnen. Sein Vater spielte Trompete, und so begann auch er mit der Trompete. Er schuf Werke für Kammermusik und Gesangsstücke für Chöre. Aber Soundtracks waren seine wahre Passion. In seiner 60 Jahre währenden Karriere hat er für rund 450 Filme die Musik komponiert und mit den wichtigsten Regisseuren zusammengearbeitet. Von Brian De Palma ("The Untouchables") über Roman Polanski ("Frantic") und Barry Levinson ("Bugsy") bis hin zu Giuseppe Tornatore ("Cinema Paradiso", "Die Legende des Ozeanpianisten").
Zahlreiche Preise
Er gewann sämtliche Preise von Golden Globes über Baftas bis hin zum Grammy. Aber erst spät hielt er die Statue in den Händen, die ihm seiner Meinung nach eigentlich schon viel früher zugestanden hätte: den Oscar. Fünf Mal war er nominiert und immer leer ausgegangen. 2007 bekam er zwar den Ehrenoscar für sein Lebenswerk, aber erst 2016 für die beste Filmmusik in Quentin Tarantinos "The Hateful Eight".
Er könne sich vor allem an das Gefühl erinnern, als er den Oscar nicht bekommen habe, erzählte Morricone der Deutschen Presse-Agentur im Sommer. "Weil ich immer dachte, ich hätte ihn verdient. Alle wussten, dass ich ihn verdient habe." Trotz seiner Kontakte zu den großen Hollywood-Regisseuren habe es ihn nie in die USA gezogen. Auch Englisch lernte er nie. Und er werde es auf seine alten Tage auch nicht mehr lernen, scherzte er.
Mittlerweile komponiert Morricone nicht mehr für Filme. Er lebt in seiner Heimatstadt Rom im Mittelklasse-Viertel EUR in einem Penthouse mit Blick auf die Stadt. Grün ist es hier und nicht so hektisch wie im Zentrum. Ein Klavier steht in der Wohnung neben unzähligen Vasen, Gefäßen und antiken Möbeln. Der Maestro mit der markanten Brille wirkt immer noch sehr fit, engagiert.
Auch wenn er keine Filmmusik mehr komponiert: Er gibt immer noch Livekonzerte. Wenn er auf die Bühne geht, spürt man fast die Ehrfurcht der Musiker. Das Publikum wirkt beseelt, wenn die ersten Hits ertönen. Er sei immer noch ein wenig nervös, wenn er live dirigiere, sagte er. Denn Fehler kann er schlecht ertragen.
Von Annette Reuther, dpa