Vor 15 Jahren stand diese auf einem Roman von Walter Scott beruhende Oper von Gioachino Rossini zum letzten Mal auf dem Spielplan der Lütticher Oper. Jetzt zeigt das Haus eine Produktion, die vor zwei Jahren bei dem wichtigsten Rossini-Festival in Pesaro ihre Premiere erlebte.
Damiano Michieletto ist der Regisseur und es ist das erste Mal, dass eine Inszenierung Michielettos mich enttäuschte. Vor ein paar Wochen überzeugte seine Inszenierung des Verismodoppels "Cavaleria Rusticana" und "Il Pagliacci" in Brüssel, in Lüttich selber brachte er vor zwei Jahren eine "Scala di Seta" von Rossini heraus, bei der Bühnenbild und Personenführung eine perfekte Einheit ergaben, die den gleichen Spielwitz aufwies, wie seine Donizetti-Produktion "L'Elisire d'amore" kurz zuvor im Cirque Royal. Leider gelingt ihm mit "La Donna del Lago" nicht der nächste Geniestreich.
Zu den ersten Klängen des Orchesters schaut man auf ein kleines Wohnzimmer in dem ein altes Paar nebeneinander lebt. Es sind Elena und Malcolm, die im Laufe des Abends in der eigentlichen Oper als gealterte Alter Ego der beiden Protagonisten immer wieder zu sehen sind. Die Idee hat ihren Reiz, ist nicht ganz neu oder gar besonders originell. Die beiden Schauspieler geben sich auch alle Mühe, aber das Ganze wirkt sehr aufgesetzt und bringt keinen neuen Ansatz der Lesart.
Elena, die "Frau am See" ist von ihrem Vater Douglas aus politischen Gründen Rodrigo versprochen. Sie liebt aber Malcolm, und da taucht unerwartet noch ein Dritter auf, der ihr den Kopf verdreht: Uberto. Uberto ist in Wirklichkeit aber der König von Schottland. Er verliebt sich sofort in die schöne junge Frau. Nach langem Ringen verzichtet er jedoch großmütig auf Elena zugunsten von Malcolm und er begnadigt auch noch Elenas Vater, seinen Widersacher im Kampf um die Macht.
Auf der Bühne ist zunächst nichts von schottischen Wäldern oder Moorlandschaften zu sehen. Das kleine Zimmer der Einstiegsszene wird zu einem großen ziemlich heruntergekommenen Raum, in dem neben einem Bett auch ein Standspiegel zu sehen ist. Der Raum könnte auch ein Hinterhof mit großer Treppe sein, auf jeden Fall hat der Zahn der Zeit an allem genagt. Rein optisch hat dieses Bühnenbild seinen Reiz, aber wie Michieletto seine Darsteller darin agieren lässt, ist recht konventionell. Und wenn jedes Mal beim Blick in den Spiegel Elena und Malcolm ihrem älteren Widerpart ins Gesicht schauen, dann ist das auch nicht gerade sehr einfallsreich.
Aber Oper ist auch und besonders in diesen Fall vor allem Gesang. Und der ist großartig. Salome Jicia als Elena verbreitet mit feinstem Belcanto-Gesang die gewünschte Sinnlichkeit. Als Uberto strahlt Maxim Mironov mit bravourösem Tenorglanz, wie er die Höhen meistert, ist absolut atemberaubend und in der Hosenrolle des Malcolm weiß Marianna Pizzolato mit eindrucksvollen Liebesklagen für sich einzunehmen. Auch die weiteren Sänger und Sängerinnen sind den jeweiligen Rollen entsprechend glänzend besetzt. So weiß unsere Landsmännin Julie Bailly als Elenas Vertraute Albina zu überzeugen.
Zum Erfolg des Abends trägt nicht zuletzt der Dirigent Michele Mariotti bei, ein international gefragter Rossini- und Belcanto-Spezialist, der vor zehn Jahren schon als ganz junger Orchesterleiter beim "Barbier von Sevilla" zu begeistern wusste.
Bis zum 15. Mai steht "La Donna del Lago" auf dem Spielplan der Lütticher Oper.
Hans Reul