Dass das Theater Aachen sich an Poulencs großartiges Operndrama wagt, ist zum einen ein Beleg für die Qualität des Hauses, denn das Solistenensemble ist sehr umfangreich, und zum anderen für den Mut von Intendant Michael Schmitz-Aufterbeck, auch weniger bekannte und gewiss auch weniger publikumswirksame Werke ins Programm zu nehmen. Das verdient schon unsere Anerkennung und im Großen und Ganzen kann man von einer gelungenen Aufführung am Premierenabend sprechen.
Die Dialoge der Karmelitinnen spielen ja zur Zeit der Französischen Revolution. Die junge Blanche de La Force leidet unter ständigen Angstzuständen und fasst den Entschluss ins Kloster zu gehen. Aber auch hier gelingt es ihr nicht, bei allem tief verwurzeltem Glauben, ihre Ängste zu überwinden. Als den Karmelitinnen der Märtyrertod droht, hat Blanche das Kloster schon verlassen, kehrt aber in der Schlussszene zurück, um mit ihren Mitschwestern in den Tod zu gehen.
Das ist kurz zusammengefasst die Handlung der Oper, in der es natürlich auch Nebenspielplätze gibt, etwa die Frage der Nachfolge der verstorbenen Priorin, die letztendlich Madame Ledoine und nicht die ehrgeizige Mère Marie antreten darf. Schon aus dem Grundgerüst des Stücks lässt sich, wie Olivier Py eindrucksvoll in Brüssel zeigte, ein packendes Seelendrama gestalten.
Warum die Regisseurin Ute M. Engelhardt in Aachen noch eine Neben- oder Vorgeschichte hinzufügte, ist nicht ganz schlüssig. Bei ihr war Mère Marie als Amme im Hause de La Force tätig, hatte sogar eine amouröse Beziehung zu Blanches Vater. Man kann Mère Marie als eine Art Ersatzmutter für Blanche im Kloster ansehen, aber wenn man nicht die Notiz im Programmheft gelesen hat, dann ist dies nicht nachvollziehbar. Sei's drum. Ansonsten überzeugt die Regie mit einer durchgehend konsequenten Personenführung in einem von großen verschiebbaren grauen Wänden gestalteten Einheitsbühnenbild, dem nur das Zimmer des Marquis de la Force einen Farbtupfer verleiht.
Beeindruckend ist das sängerische Niveau dieser Produktion, vor allem bei den zahlreichen Frauenrollen. Da gilt es zunächst die junge Suzanne Jerosme als Blanche hervorzuheben. Sie schafft es, die Entwicklung vom jungen Mädchen hin zur selbstbestimmten Frau, die freiwillig den Tod wählt, auf bewegend glaubwürdige Art zu singen und zu spielen. Ihre tief verwurzelte Religiosität zeigt sich vielleicht auch an einem kleinen Detail, Blanche ist die einzige der Karmelitinnen, die ein fast unscheinbares kleines Kreuz an einem Halsband offen trägt.
Eine Entdeckung ist die ebenfalls aus Frankreich stammende Faustine de Monès. Sie gibt das eher quirlige Pendant der Schwester Constance. Übrigens: Beide Sängerinnen waren auch in Sachen Diktion vorbildlich. Die Ensemblemitglieder Irina Popova als Mère Marie und Katharina Hagopian als Madame Lidoine konnten ihren jeweiligen Rollen die gewünschte Persönlichkeit verleihen. Dirigent Justus Thorau ließ das Sinfonieorchester Aachen meist sehr kraftvoll die Poulenc-Partitur ausleuchten.
Diese Produktion kann sich trotz der leichten Einwände an die Regie mehr als sehen und hören lassen. Und es ist zu wünschen, dass das Publikum der Einladung folgt, dieses Meisterwerk von Francis Poulenc zu besuchen. Bis zum 1. Juni stehen noch sechs Vorstellungen auf dem Spielplan.
Hans Reul