Wenn sich zu der mit flottem Tempo und sehr energisch startenden Ouvertüre der Vorhang hebt, dann weiß man gleich, was einen in den nächsten dreieinhalb Stunden erwartet. Das Bühnenbild versetzt uns nach Sevilla ins späte 18. Jahrhundert, also in jene Epoche, in der die Handlung spielt und die Kostüme sind ebenso schön wie zeitgerecht.
Von Regisseur Emilio Sagi ist kein Regietheater zu erwarten, er hat in Lüttich schon 2010 mit Bizets "Carmen" und 2013 mit Rossinis "L'Italiana in Algeri" gezeigt, dass er es versteht auf eher konventionelle Art zu überzeugen. Und das gelingt ihm mit Mozarts "Figaro" allemal.
Dafür sorgen in erster Linie aber die Sänger. Allen voran ist die quirlig frische Jodie Devos hervorzuheben. Sie singt mit einer immer wieder erfreulichen Leichtigkeit die Rolle der Susanna, die sich ja der plumpen Annäherungen des Grafen Almaviva erwehren muss und letztendlich ihren geliebten Figaro in den Armen halten kann und der "verrückte Tag" ein glückliches Ende findet.
Der Sänger des Figaro ist die Entdeckung des Abends. Der gerade mal 26-jährige Leon Kosavic glänzt mit einer sehr schönen, warmen und auch noch raumfüllenden Baritonstimme. Der junge Kroate ist Schüler von José Van Dam in der Chapelle Reine Elisabeth und ich glaube, dass man von Leon Kosavic in Zukunft noch einiges hören wird. Er singt nicht nur hervorragend, nein, im Zusammenspiel mit Jodie Devos zeigt er auch sein darstellerisches Talent.
Dem jungen Paar gegenüber stehen zwei erfahrene Künstler, nämlich Mario Cassi als Graf Almaviva und Judith Van Wanroij in der Rolle der Gräfin. Sie sorgt für den lyrischen Höhepunkt des Abends. Wie sie die Arie "Dove Sono" interpretiert, ist wahrlich zu Herzen gehend. Ganz in sich gekehrt, aber ohne Pathos, mit leiser und doch stets präsenter Stimme. Ihrer Rolle entsprechend burschikos ist Raffaela Milanesi in der Hosenrolle des Cherubino. Auch sie konnte natürlich mit der berühmten "Voi che sapete"-Arie begeistern.
Für den notwendigen Schwung sorgt Christophe Rousset am Dirigentenpult. Sein Mozart ist zupackend, schnell aber nie überhastet. Das Orchester der Königlichen Oper der Wallonie folgt ihm ebenso aufmerksam wie engagiert. Da Rousset auch selber am Pianoforte die Rezitative begleitet, erleben wir eine musikalische Interpretation, die kohärenter kaum sein könnte.
Nach der unterhaltsamen und hinreißenden Entdeckung des "Domino Noir" von Auber vor ein paar Wochen zeigt die Lütticher Oper, dass sie auch in einem Blockbuster keinen Vergleich zu scheuen braucht. Dieser "Figaro" ist ein weiterer gelungener Coup des Hauses. Wie gesagt, modernes Regietheater darf man nicht erwarten, hier bleibt sich Lüttichs Operndirektor Stefano Mazzonis treu, aber wenn traditionelle Oper so opulent geschmackvoll und vor allem mit so tollen Stimmen angeboten wird, dann ist dies mehr als legitim.
Hans Reul