Wenn Künstler wie Marina Abramovic, Sidi Larbi Cherkaoui und Damien Jalet gemeinsam eine Oper inszenieren, dann kann man einen außergewöhnlichen Theaterabend erwarten. Dass es dann zu einem solch bewegenden und überragenden, alle Grenzen sprengenden Gesamtkunstwerk wird, ist umso erfreulicher. Es gibt Inszenierungen, die man so schnell nicht vergisst. Diese "Pelléas und Mélisande" der Flämischen Oper zählt definitiv dazu.
Claude Debussys Oper erzählt die geheimnisvolle Geschichte um erfolgten oder vermeintlichen Ehebruch, den Mélisande mit ihrem Schwager Pelléas begangen haben soll oder nicht. Golaud, ihr Ehegatte ist davon überzeugt und tötet, rasend vor Eifersucht, Pelléas. Mélisande verliert sich in ihrer Trauer, bleibt Golaud jede Antwort schuldig und stirbt am Ende der Oper.
In den letzten Jahren hat es immer wieder in unserem Land beeindruckende Produktionen dieses mehr von der Musik als von der konkreten Handlung getragenen Werkes gegeben. So etwa die kammerspielartige Sicht von Pierre Audi in La Monnaie oder eine sehr naturalistische Inszenierung von Philippe Sireuil in Lüttich. Dem Produktionstrio in der Flämischen Oper gelingt es noch weitere Aspekte der Sichtweise hinzuzufügen.
Die Bühne ist in tiefes Schwarz getaucht, als einzige Elemente tauchen von der Decke hängende oder auch mal liegende langgezogene Kristalle auf. Kristalle oder Mineralien, die den Kosmos und auch den Menschen symbolisieren. Dies wird durch farblich wunderschöne Bilder auf einer großen runden Scheibe im Bühnenhintergrund noch unterstrichen. Hier hat Marina Abramovic, die für Konzept und Dekor verantwortlich zeichnet, mit dem Videokünstler Marco Brambilla ein wahres Meisterwerk geschaffen.
Wenn Choreographen wie Cherkaoui und Jalet die Inszenierung übernehmen, dann ist es naheliegend, dass Tanz in die Handlung eingebunden ist. Es ist nicht das erste Mal, dass dies der Fall ist, aber so perfekt wie hier sind Tanz, Gesang und Spiel wohl nur selten eine Symbiose eingegangen. Sieben Tänzer begleiten die Sänger, setzen Akzente, lassen die Musik visuell werden.
Es ist nämlich mehr als eine reine Doppelung der jeweiligen Arien oder Duette, es sind Deutungen, die von einer poetischen und ästhetischen Kraft sind, die den Betrachter zu fesseln verstehen. Wenn etwa Mélisandes Haare, die wie von Maeterlinck und Debussy gefragt lang und blond sind, durch dünne Fäden eine Verlängerung erhalten und sich um die Personen wickeln, dann ist dies so genau durchchoreographiert, dass sie durch natürliche Tanzbewegungen sich wieder lösen. Und das ist nur eines von zahlreichen Bildern.
Die Sänger werden aber nie zur Nebensache. Diese Gefahr ist bei einer solch reichen Bildersprache ja schnell zu befürchten. Nein, sie sind wichtiger Teil des Geschehens. Mari Eriksmoen gibt ein sehr überzeugendes Rollendebüt als Mélisande. Sie versteht es, das Mädchenhafte der Rolle mit feinem, sehr reinem Gesang zu deuten. Den Pelléas singt Jacques Imbrallo und besonders prägnant ist der Golaud von Leigh Melrose.
Das Orchester der Flämischen Oper ist wieder einmal der ideale Partner. Diesmal steht es unter der Leitung von Alejo Perez und zeichnet die filigranen Unterschiede, die Strukturen der Partitur Debussys kongenial nach.
Nach den Vorstellungen in Antwerpen stehen ab dem 23. Februar noch sechs weitere Termine in Opernhaus Gent auf dem Programm. Diese "Pelléas und Mélisande" sollte sich kein Opern- oder Tanztheaterliebhaber entgehen lassen.
Hans Reul - Fotos: Rahi Rezvani und Annemie Augustijns/Flämische Oper