Zu den Klängen des Vorspiels zum ersten Akt - und damit gleich einem ersten echten Hit aus "La Traviata" - blickt der Zuschauer auf einen dunkelblauen sternenüberfluteten Himmel durch den ab und zu eine Sternschnuppe saust. Dann hebt sich der Vorhang und wir sehen in einen geschlossenen schwarzen Bühnenraum, dessen Mittelpunkt eine große Drehscheibe ist. Sie wird sich im Laufe des Abend immer wieder in eine andere Position neigen. Im zweiten Akt sind dann drei riesige Kamelienblüten zu sehen, viel mehr Ausstattung braucht Regisseurin Ewa Teilmans nicht um "La Traviata" zu erzählen.
Violetta Valéry, die Kameliendame, leidet in Giuseppe Verdis Oper und in dem ihr zugrunde liegenden Roman von Alexandre Dumas an Tuberkulose. In der Aachener Inszenierung hustet sie zwar nicht, aber es geht ihr nicht gut. Sei es um ihre Schmerzen zu bekämpfen oder aus purer Abhängigkeit schnupft sie ein Näschen Koks nach dem anderen, und wenn es ans Sterben geht, setzt sie sich noch einen Schuss.
Warum? Das erschließt sich nicht aus der Aufführung. Auch warum Doktor Grenvil, der ja erst beim Fest der Violetta-Freundin Flora seinen Auftritt hat, bereits vom ersten Bild an durch die Szenerie geistert, bleibt ein Rätsel. Aber ansonsten hält sich die Regie mit Umdeutungen sehr zurück und konzentriert sich auf die Protagonisten. Und da wird man in Aachen in dieser Produktion sehr verwöhnt.
Zunächst muss man das engagierte Spiel des Orchesters unter der Leitung von Karl Shymanovitz hervorheben. Die reinste Spielfreude ertönt aus dem Orchestergraben, da darf nach Herzenslust musiziert werden, sei es in den flotten Massenszenen oder auch in den sehr intimen Vorspielen und herzergreifenden Arien. Das hat Seele, aber wirkt nie kitschig verkleistert.
Mit der Französin Solen Mainguené landet man für die Titelpartie einen echten Glücksgriff. Mit großem Engagement singt und spielt sie die schöne Kurtisane. Bis auf eine kleine Schärfe in den höchsten Passagen glänzt sie mit ebenso kraftvollem wie klangschönem Sopran.
Ihr zur Seite steht mit Alexey Sayapin ein Alfredo Germont, wie man ihn sich angemessener kaum vorstellen kann. Nicht nur dass er hervorragend jede Nuance klanglich ausgestaltet, der Tenor steht seiner Violetta auch rein optisch in nichts nach. Manch ein Besucher mag bei ihm sogar an Jonas Kaufmann gedacht haben.
Hrólfur Saemundssson komplettiert das Solistentrio als Vater Germont. Was ihm an an dunkler Tiefe fehlt, macht er im Baritonregister wieder weg. Das weitere Ensemble und vor allem die Chöre wissen zu überzeugen. Auch wenn man über die Masken der Choristen geteilter Meinung sein kann. Aber das tut der gesanglichen Leistung keinen Abbruch.
So darf man am Ende der Oper wieder einmal mit Alfredo und der sterbenden Violetta leiden. Die Besucher dankten am zweiten Vorstellungsabend mit mehr als berechtigten lang anhaltenden Standing Ovations. "La Traviata" dürfte wohl zum Publikumsrenner der Opernsaison in Aachen werden.
Weitere Informationen auf der Webseite des Aachener Theaters.
Hans Reul