Es ist kaum zu glauben: Mit 16 Jahren legt Mozart eine Opera Seria vor, die musikalisch wie dramaturgisch kaum an Perfektion und Reife zu überbieten ist. In "Lusio Silla" geht es um Macht und Gewalt, um Liebe und Gnade. Die Handlung spielt im alten Rom, aber ist von einer zeitlosen Aktualität, die der Regisseur Tobias Kratzer mit seinem Team auf nachdrückliche Art auf die Bühne bringt.
Lucio Silla ist ein machtgieriger Herrscher, der die junge Giunia, die Tochter seines Todfeindes heiraten möchte. Sie widersetzt sich Silla, zumal sie in Cecilio, einem weiteren Feind Sillas, verliebt ist. Dieser ist nach Rom zurückgekehrt, um Silla zu töten und andererseits wieder mit Giunia vereint zu sein. Sillas Schwester Celia liebt indes den besten Freund von Cecilio, Cinna. Cecilio scheitert mit seinem Attentat, landet im Gefängnis, hier nehmen Cecilio und Giunia Abschied voneinander, aber Silla lässt Gnade walten und Giunia und Cecilio dürfen heiraten ebenso Celia und Cinna.
Für Tobias Kratzer ist das Stück von brennender Aktualität. "Es ist ein eminent politisches Stück, das einen narzisstischen Herrscher zeigt, der leider wieder sehr aktuell, ist, der Staatsbelange und persönliche Interessen nicht trennt, der ein Profil zeigt, das man seit dem Spätabsolutismus überholt glaubte, das aber in letzter Zeit fröhliche Urstände feiert. Das Stück unternimmt eine sehr präzise Analyse einer solchen Herrscherfigur. Auf der anderen Seite haben wir eine - im positiven Sinne - pubertäre Beschreibung von jungen Menschen, die ein fast utopisches Gegenmodell darstellen und aus diesen zwei Polen entspringt die fast unglaubliche Faszination dieses Stückes."
Kratzer verlegt die Handlung dann auch konsequent in unsere Zeit. Lucio Silla lebt in einem modernen Bungalow, alles ist videoüberwacht und dies setzt Kratzer konsequent ein. Wir sehen Großaufnahmen, dann werden Szenen wiederholt und lassen einen die Geschichte aus einer anderen Perspektive verfolgen, Silla selbst bedient die Fernbedienung. Für die Videoarbeiten zeichnet Manuel Braun verantwortlich, für die Bühne Rainer Sellmaier, die drei bilden ein perfekt eingespieltes Team. Alles ist von einer durchgehenden klaren und beeindruckenden Kohärenz. So funktioniert Aktualisierung eines Stoffes.
Dass die Inszenierung ein großer Wurf ist, liegt ebenso an dem Solistenensemble, das keine Wünsche offen lässt. Bei der von uns besuchten zweiten Vorstellung waren alle sechs Sänger glänzend disponiert. Sei es Lenneke Ruiten als Giunia, Anna Bonitatibus als ihr Geliebter Cecilio oder auch und vor allem Ilse Eerens als Sillas Schwester Celia. Mit stupender Leichtigkeit meisterten alle die manchmal halsbrecherischen Koloraturen.
Auch das Orchester der Monnaie konnte restlos begeistern. Unter der Leitung von Antonello Manacorda schufen die Musiker ein Klangbild, das der Dramatik wie der dem Werk auch innewohnenden Lyrik entsprach und mit dem nötigen Drive nie einen Moment der Langeweile aufkommen ließ.
Bis zu 15. November steht "Lucio Silla" auf dem Programm von La Monnaie.
Hans Reul