2011 zeigte die Königliche Oper der Wallonie erstmals diese "Otello"-Inszenierung von Stefano Mazzonis im Palais Opera, dem großen Konzertzelt, das dem Haus bekanntlich als Ausweichspieltstätte diente. Jetzt ist die Produktion im Stammhaus zu sehen und sie hat an Eindringlichkeit gewinnen können. Wirkten damals die intimeren Szenen auf der großen Bühne ein wenig verloren und uninspiriert, sind sie jetzt überzeugendere Momente in einer insgesamt auf die Massenszenen konzentrierten Regiearbeit Mazzonis. Der Lütticher Operndirektor und Regisseur bleibt sich treu: Er möchte die Geschichte klar verständlich erzählen, wie meistens lässt er die Handlung in der vorgegebenen Epoche spielen, obwohl diesmal fügt er doch eine persönlichere Note ein. Dazu gleich mehr.
Besonders erwähnenswert sind in dieser "Ottelo"-Produktion schon die Kostüme. Sie sind edel, farbenfroh und keineswegs kitschig. Das hat Klasse, was Kostümbildner Fernando Ruiz entworfen hat. Auch die Lichtgestaltung intensiviert die einzelnen Szenen.
Für den Dirigenten Paolo Arrivabeni ist es eine ganz besondere Produktion. Der italienische Maestro verlässt das Lütticher Haus, zumindest als Musikalischer Leiter, kehrt aber schon im September als Gast an seine langjährige Wirkungsstätte zurück. Unter seiner Leitung ist das Orchester enorm gewachsen, das Zusammenspiel hat an Farbe, Präzision und Engagement gewonnen, und dies ist auch jetzt wieder einer der Trümpfe dieses "Otellos". Auch den Chor darf man wieder lobend hervorheben, auch wenn es anfangs noch einige Abstimmungsschwierigkeiten zwischen Bühne und Orchestergraben gab. Das lag vielleicht an dem stürmischen Regenschauer, den Mazzonis in der ersten Szene über die Bühne peitschen lässt.
Für die Titelrolle des Otello konnte man Jose Cura gewinnen. Der Startenor ist ja fast in Lüttich zuhause, aber in der Rolle des Mohren von Venedig konnte er weniger überzeugen als in seinen Verismo-Partien. Wenn er die Bühne betritt und sich als Retter Venedigs feiern lässt, gewinnt man den Eindruck, dass das Lütticher Opernhaus fast zu klein ist, um diese gewaltige Stimmkraft aufzunehmen. Glücklicherweise nimmt er sich später in den leiseren Momenten, zum Beispiel im Duett mit Desdemona, etwas zurück und hier wird deutlich, dass er über einen wunderschönen Tenor verfügt. Cinzia Forte steht ihm als zu Unrecht der Untreue beschuldigten Desdemona in nichts nach. Wie sie die lange Gebetsszene, das Ave Maria, meistert, ist der Höhepunkt des Abends. Auch der böse Strippenzieher Iago findet in Pierre-Yves Pruvot den idealen Interpreten.
Stefano Mazzonis erlaubt sich dann doch am Ende der Oper ein paar persönliche Eingriffe. Laut Libretto erwürgt Otello Desdemona, in Lüttich greift Ottelo zum Dolch, und Iago gelingt nicht die Flucht, sondern er wird von Cassio getötet. Das erlaubt Mazzonis dann ein eindringliches Schlussbild, in dem die auf dem Bett liegende erdolchte Desdemona mit den an den beiden Bettseiten liegenden Otello und Iago ein Dreieck bilden.
Bis zum 29. Juni steht die Verdi-Oper auf dem Programm. Alle Aufführungen sind restlos ausverkauft.
Hans Reul - Bilder: Lorraine Wauters/Opéra Royal de Wallonie