Zunächst wurden die Jury-Punkte vergeben. 12 Punkte erhielt Blanche von Irland - es gab einen 12 Punkte-Regen für Portugal, das nach dem Jury-Voting in Führung lag, vor Bulgarien und Schweden. Belgien lag auf dem neunten Platz. Aber die Stimmen aus dem Televoting konnten dieses Ergebnis noch völlig kippen. Blanche erhielt die vierthöchste Punktzahl von 255 Punkten. Doch schließlich hatte Portugal die Nase vorn. Den Siegertitel "Amar pelos dois" sang Salvador Sobral anschießend gemeinsam mit seiner Schwester Louísa, die das Lied für ihren Bruder geschrieben hatte.
Sobral weiß, dass der Erfolg nicht von alleine bleibt, sondern er auf den ESC-Sieg aufbauen muss. "Heute gewinnst du und nächsten Monat kennt dich keiner mehr. Das ist die Welt, in der wir leben", sagte er nach der Veranstaltung.
Die Niederlande erreichten den elften, Frankreich den zwölften Platz und Deutschland verfehlte mit einen Punkt sehr knapp den Hattrick (dreimal hintereinander letzter Platz), um das Ergebnis noch ein bisschen positiv zu bewerten.
Kiew als guter Gastgeber
Allen Unkenrufen zum Trotz schaffte es Kiew, sich bei mäßig durchwachsenem Wetter von seiner Sonnenseite zu zeigen. Freundliche Helfer, bemühte Sicherheitskräfte und eine neugierige, aufgeschlossene Bevölkerung empfingen tausende angereiste Medienvertreter und Fans mit offenen Armen und gleichzeitig mit osteuropäischen Charme.
Die Idee des Song Contests, der diesmal zum 62. Mal ausgetragen wurde - im Übrigen die am längsten laufende Unterhaltungssendung der Welt - entstand aus den Tragödien des zweiten Weltkriegs, nämlich unter dem Gesichtspunkt der musikalischen Völkerverständigung Europa einander nahe zu bringen.
Als Motto hatten die Verantwortlichen diesmal „Celebrate Diversity“ gewählt. Es soll die Akzeptanz aller Unterschiedlichkeiten verdeutlichen und zeigen, dass unabhängig von Herkunft, Geschlecht, sexueller Orientierung und Sprache alle gleich sind und die Musik alle verbindet. Dass dies ausgerechnet in dem politisch zerrissenen, sich im Kriegszustand befindende Land der Ukraine mit der größten Party Europas zum Ausdruck erbracht werden sollte, beschäftigte im Vorfeld viele. Fragte man die Einwohner in der Stadt, so erhielt man regelmäßig zur Antwort, dass in Kiew alle gemeinsam friedlich zusammen leben und politische Dinge nicht den Alltag bestimmen.
ESC politischer als gewollt
Schade war daher die im Vorfeld so heftig diskutierte Auseinandersetzung um die Teilnahme der von Russland ausgewählten Interpretin Julia Samoylova. Die im Rollstuhl sitzende Sängerin hatte ja bekanntlich gegen ein ukrainisches Gesetz verstoßen und war über die Krim zu Auftritten gereist. Die Ukraine verbot ihren Auftritt. Die verantwortliche europäische Sendeorganisation EBU war entsetzt und Russland zog letztlich seinen Beitrag zurück.
Was ebenfalls immer wieder im doch so „unpolitischen“ Song Contest auffällt, ist die offene Feindschaft zwischen Aserbaidschan und Armenien. Das geht sogar soweit, dass Ell, der aserbaidschanische ESC Sieger von 2011, der die Veranstaltung im Pressecenter in Kiew verfolgte, demonstrativ den Raum verließ, als der Beitrag von Armenien gezeigt wurde. Man darf in seinem Land keine positive Wahrnehmung für alles armenische zeigen.
4. Platz für Blanche
So bewarben sich dann letztendlich 42 verschiedene Beiträge um die europäische Musikkrone. In zwei Halbfinals und dem großen Finale am 13. Mai 2017 wurde dem Fernsehzuschauer wieder einmal die bunt schillernde Welt der Unterhaltungsmusik in allen Facetten vorgeführt. Celebrate Diversity eben! Hunderte von Millionen Fernsehzuschauern weltweit sahen zu und fieberten mit, bis weit nach Mitternacht feststand:
Der emotionale Beitrag aus Portugal hat es geschafft, der Favorit aus Italien musste sich geschlagen geben. Der 63. ESC wird daher entsprechend der Regeln der EBU voraussichtlich im Mai 2018 in Lissabon oder Porto stattfinden.
Belgien kann mehr als stolz auf seine Vertreterin Blanche sein, die sich nach anfänglichen Schwierigkeiten bei den Proben von Auftritt zu Auftritt steigerte und im Finale die drei Minuten ihres Lebens auf die Bühne brachte. Konzentriert, ausdrucksstark und getragen von Begeisterungstürmen der begeisterten Zuschauer in der ausverkauften Kiew-Arena hinterließen eine derart bärenstarken Eindruck, dass sich am Ende 363 Punkte auf dem Punktekonto für Belgien ansammelten, was mit einem hervorragenden vierten Platz endete. "Der vierte Platz von 42 Ländern ist fantastisch", freute sich Blanche. Auch dem Komponist von "City Lights", Pierre Dumoulin, ist die Erleichterung anzuhören: "Das waren zwei unglaubliche Wochen, in denen wir alle Emotionen durchlebt haben. Zu Beginn galten wir als einer der fünf Top-Favoriten, dann sind wir aus dem Feld der Siegesanwärter heraus gefallen, um schließlich doch zu den fünf Besten zu gehören."
Die Kritiker und Experten sind sich einig: Der Beitrag von Blanche wird in den Radiostationen Europas rauf und runter gespielt werden. „City Lights" ist auf jeden Fall eine Komposition mit Hit-Charakter.
Sie selbst will jetzt zunächst die Schule beenden: "Ich bin noch in der Sekundarschule und muss nun für die Prüfungen lernen. Nach den Sommerferien wollen Pierre und ich ein Album produzieren."
Biggi Müller - Bilder: Sergei Supinsky/Genya Savilova (afp)