Wegen des Einreiseverbots der Ukraine könnte die Russin Julia Samoilowa (27) ausnahmsweise per Live-Schalte von ihrem Heimatland aus beim Eurovision Song Contest (ESC) mitmachen. Diesen Kompromiss für den ESC 2017 in Kiew hat die Veranstalterin des TV-Gesangswettbewerbes, die Europäische Rundfunkunion EBU in Genf, am Donnerstag vorgeschlagen. Der russische Fernsehsender Perwy-Kanal lehnte einen aus Moskau übertragenen Auftritt mit Samoilowa jedoch ab. Die Ukraine hatte der Künstlerin am Mittwoch wegen eines früheren Auftritts auf der Schwarzmeerhalbinsel Krim die Einreise untersagt.
Der EBU zufolge könnte die 27-Jährige beim Halbfinale und dann vielleicht auch beim Finale im Mai ausnahmsweise live zugeschaltet werden. Für gewöhnlich muss jeder Teilnehmer an Ort und Stelle sein Lied vortragen. "So etwas wurde nie zuvor getan in der 60-jährigen Geschichte (des ESC)", hieß es bei der EBU. Im Sinne des diesjährigen Mottos "Celebrate Diversity" ("Die Vielfalt feiern") solle diese Entscheidung allen 43 Sängern die Teilnahme ermöglichen. EBU-Funktionär Jon Ola Sand sagte, die Union setze sich dafür ein, dass alle Teilnehmer in Kiew dabei sein können.
Russlands Perwy-Kanal bezeichnete den Vorschlag als seltsam, da er den Statuten des Wettbewerbs widerspreche. Demnach müssten alle Teilnehmer direkt und live auf der ESC-Bühne auftreten. Die EBU solle keine neuen Regeln einführen, hieß es.
Die 27-jährige Samoilowa sitzt seit ihrer Kindheit im Rollstuhl. Im Jahr 2015 war die Sängerin in der Stadt Kertsch auf der Krim aufgetreten. Seit sich Russland 2014 die Halbinsel einverleibt hat, hat die Regierung in Kiew Reisen auf die Krim über russisches Gebiet verboten und bestraft diese mit mehrjährigen Einreisesperren.
Die ukrainische Führung kritisierte den Vermittlungsversuch der EBU. "Die Übertragung des Auftritts von Samoilowa durch ukrainische Fernsehsender ist ebenfalls ein Verstoß gegen ukrainische Gesetze, wie auch die Einreise in die Ukraine", kommentierte Vizeregierungschef Wjatscheslaw Kirilenko bei Twitter.
Die Entscheidung der Ukraine löste scharfe Kritik in Russland aus. "Das Einreiseverbot wertet den kommenden Wettbewerb ab - es ist ein Schlag für das Image des Eurovision Song Contests", meinte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow. Die Menschenrechtlerin Ella Pamfilowa warf dem Westen Tatenlosigkeit vor. "Ich finde es höchst deprimierend, dass es aus Europa keine Reaktionen gibt." Kiew würde sich nicht so aufführen, wenn die europäischen Staaten nicht die Augen verschließen würden, sagte sie der Agentur Tass zufolge.
Der ESC soll den Statuten zufolge unpolitisch sein. Kritiker werten den Streit zwischen Moskau und Kiew aber als Beispiel, wie der Wettbewerb für politische Ziele instrumentalisiert wird. "Es ist dringend geboten, dass der Eurovision Song Contest frei von Politik bleibt", forderte EBU-Funktionär Sand. Die Stimmung zwischen Russland und der Ukraine ist seit 2014 schlecht. Die Einverleibung der Krim und der Krieg zwischen ukrainischen Regierungstruppen und prorussischen Separatisten im Donbass belasten die Beziehungen.
Die Halbfinal-Wettbewerbe des ESC 2017 finden am 9. und 11. Mai in der ukrainischen Hauptstadt Kiew statt, das Finale am 13. Mai. Für Belgien wird die Sängerin "Blanche" antreten.
dpa/okr - Bild: AFP/EBU