Aktueller könnte die Handlung dieser Kammeroper kaum sein, obwohl die Geschichte zeitlos ist, denn Menschen auf der Flucht hat es immer gegeben. In "Daral Shaga" begleiten wir einen Vater und dessen Tochter auf ihrer Flucht. Sie kommen an eine Mauer, die unüberwindbar erscheint. Der Vater weiß, dass seine Tochter in dem neuen Land bleiben wird, er selber wird zurückkehren. Ebenso wie ein anderer Flüchtling, der den Weg schon genommen hatte, aber keine neue Heimat gefunden hat und wieder in sein Herkunftsland zurück möchte.
Der Anstoß, diese Geschichte zu einer Oper zu verarbeiten, kam von der Compagnie Feria Musica, eine junge engagierte Gruppe von Akrobaten, die auf auf zirzensische Art Geschichten erzählt. Sie baten vor gut zwei Jahren den Prix-Goncourt-Preisträger Laurent Gaudé, das Libretto zu schreiben.
Ausgehend von seinem Roman „El Dorado“ verknappte er die Handlung und unser Landsmann Kris Defoort komponierte eine Musik, die zwischen Jazz, Klezmer, alter und zeitgenössischer Musik einen ganz eigenen Ton findet. Drei Sänger werden von drei Musikern begleitet und hinzu kommen vor allem die Akrobaten, die die Handlung darstellen.
Kris Defoort war sogleich von Gaudés Sprachrhythmus beeindruckt, aber in "Daral Shaga" kommen noch die Zirkusakrobaten hinzu, die auch den Rhythmus prägen. Defoort hat zahlreiche ihrer Aufführungen besucht und beobachtet, dass jede Bewegung, jeder Sprung, jede Aktion eine innere Vorbereitung verlangen, die eine gewisse Flexibilität in der Musik erfordern. Daher hat er bewusst für drei Musiker komponiert (Pianist Fabian Fiorini, Cellist Lode Vercampt und Klarinettist Jean-Phillipe Poncin), die auch hervorragende Improvisatoren sind.
Das rund 70-minütige Werk wurde seit seiner Uraufführung im September 2014 rund 20 Mal gegeben, vor allem im Rahmen von Theater- und Zirkusfestivals. Tatsächlich sprengen die Inszenierung und die Musik den üblichen Opernrahmen, aber dadurch kann auch ein neues Publikum erreicht werden.
Die Inszenierung von Fabrice Murgia, mittlerweile Direktor des Théâtre National in Brüssel, ist ungemein vielschichtig, denn die eigentliche Bühnenhandlung wird von den Darstellern selber gefilmt und live in Großaufnahme auf eine vordere durchsichtige Leinwand projiziert. Das gibt den Bildern eine zusätzliche Intensität. Als wäre es nicht schon erschreckend genug, wie sich die Flüchtenden gegen die Grenzmauer werfen, wie sie verzweifelt versuchen eine bis zur Bühnendecke reichende Gitterwand zu überwinden. Aber das Stück ist auch von einer poetischen und damit auch Hoffnung machenden Kraft getragen.
"Daral Shaga" wird noch bis Sonntag in Brüssel gegeben.
Hans Reul - Fotos: Hubert Amiel/La Monnaie