Mit Karlsson auf dem Dach hat ihr Künstlername nichts zu tun. Einen Propeller braucht Alice Dutoit aus Mons auch gar nicht zum Fliegen. 2014 war sie eine der Entdeckungen bei "The Voice", nur zwei Jahre später steht sie bereits auf der Bühne bei Rock Werchter und spielt - in einem futuristischen schwarzen Outfit und selbst an verschiedenen Schlaginstrumenten - 40 Minuten aus ihrem Debütalbum "Higher" ("Easy come, easy go", "Lucky You"). Alice und ihre Band, unter anderem Daniel Offermann aus Kettenis (Rock Werchter: Daniel Offermann zwischen zwei Welten), haben um 13 Uhr den Sonntag auf der Zeltbühne "The Barn" eröffnet.
Alice, wie ist es, in Werchter zu spielen?
"Der Festival-Sommer fängt gut an! Ich habe diese Nacht überhaupt nicht geschlafen, ich bin das Konzert noch zehn Mal im Kopf durchgegangen. Ich hatte doch ein bisschen Angst. Ein Konzert ist etwas Zerbrechliches. Man muss in der richtigen geistigen Verfassung sein. Du hast es schnell auch mal vermasselt. Mir ist das schon passiert! Und heute, beim ersten Lied, war ich so beeindruckt von der Menschenmenge. Es war ein bisschen, als hätte ich selbst im Publikum gestanden und mir zugeschaut. Aber dann, ab dem zweiten Titel, war ich drin. Ich habe es geliebt, jede einzige Minute genossen. Es war kurz, aber intensiv."
Man hat dir angesehen, dass du Spaß hattest!
"Der wichtigste Ratschlag, den ich je erhalten habe: Tu so, als wärst du alleine in deinem Zimmer. Um zu vergessen, dass dich viele Leute beobachten. Und wenn du dich amüsierst, spürt das auch das Publikum. Und das verbindet."
Das hast den Kontakt zum Publikum gesucht. Sogar auf Niederländisch!
"Ja klar, ich habe es versucht. Für die Kommunikation ist das einfach das beste. Leider spreche ich kein Deutsch."
Aber nach deinem Jahr im Ausland sprichst du sehr gut Englisch!
"Ja, das hat zwei verschiedene Gründe: Mein Auslandsjahr in den USA und ich stehe total auf Game of Thrones (lacht)."
In den USA ist auch für dich musikalisch der Knoten geplatzt.
"Genau. Ich war ein Jahr in einer Gastfamilie in Oregon und habe dort im Chor gesungen, wie in der Serie 'Glee', mit richtig viel Show. Die Amerikaner verströmen ein Selbstbewusstsein und singen mit dem ganzen Körper. Sie stellen sich keine Fragen. Und urteilen nicht. Auch wenn ich finde, dass wir in Belgien da auch ziemlich locker sind. Also musste ich meine Schüchternheit ablegen. Ich hatte vorher total Angst, vor Publikum zu singen. Aber ich habe festgestellt, dass ich furchtbar gerne singe. Und selbst wenn es furchteinflößend sein kann, vor vielen Leuten zu stehen, ist es auch einmalig. Es bringt dich dazu, über deine Grenzen zu gehen. Du musst aus deiner Komfortzone heraus und alles von dir geben. Dieses Gefühl, wenn du auf der Bühne stehst, das findest du sonst nirgends. Es ist einfach enorm."
Es ist alles sehr schnell gegangen für dich. Es ist gerade einmal zwei Jahre her, dass du angefangen hast, Songs zu schreiben. Ist das nicht auch ein bisschen furchteinflößend?
"Ja, das stimmt schon. Ich habe sehr viel Glück gehabt, aber gleichzeitig ist alles so schnell gegangen. Ich musste die einzelnen Etappen viel schneller durchlaufen als andere. Eigentlich habe ich meine ganze Erfahrung direkt auf der Bühne gesammelt. Ich habe schon letztes Jahr Festivals gespielt. Und habe dabei nach und nach lernen müssen, wie das geht. Mein Album ist im Januar dieses Jahres herausgekommen. Es ist wirklich alles fürchterlich schnell gegangen. Es gibt sicher viele junge Musiker in meinem Alter, die gerne in meinen Schuhen stecken würden – heute sind sie zwar voller Schlamm - also profitiere ich zu hundert Prozent von dem, was mir gerade passiert."
War "The Voice" eine wichtige Etappe für dich?
"Ja, natürlich. Ich hatte keinen genauen Karriereplan im Kopf, als ich mich bei The Voice beworben habe. Ich hatte Lust, mich auszuprobieren und neue Leute kennenzulernen, die meine Leidenschaft für Musik teilen. Und es war ein entscheidender Moment. Nicht nur, weil ich gelernt habe, keine Angst vor der Kamera zu haben. Ich habe dort auch Marc Pinilla von der Band Suarez kennengelernt, der heute mein Produzent ist. Er hat extra für mich das Label 'Label et Labet' gegründet. Also auf jeden Fall maßgebend. Andererseits gibt es beim Reality-TV immer Vor- und Nachteile. Nach so einer Show kann dir ein falsches Image anhaften. Ich bin allerdings im Halbfinale ausgeschieden und war dadurch an keinen Vertrag gebunden. Ich hatte die Möglichkeit, die richtigen Leute zu treffen und mich selbst in Frage zu stellen. Und heute darf ich die Musik machen, die ich mag."
Wer sind deine musikalischen Vorbilder?
"Diese Frage stelle ich mir auch oft. Ich orientiere mich an Sängerinnen meines Alters. Ich versuche mir dann vorzustellen, welche Entscheidung sie an meiner Stelle treffen würden. Das hilft mir. Ich denke da zum Beispiel an Aurora, die heute auch hier spielt. Ich habe sie eben getroffen, das war toll. Oder zum Beispiel Emilie Nicolas oder die dänische Sängerin Oh Land. Diese Mädels haben etwas Feenhaftes, was mir sehr gefällt. Auch ich will ein bisschen Magie auf die Bühne bringen, auch durch Deko und Outfit. Außerdem habe ich noch ein anderes Vorbild. Ich habe keinen Manager, ich kümmere mich selbst um Sachen wie Verwaltung und Budgets. Und da denke ich oft an Meryl Streep. Nicht ganz meine Altersklasse, aber eine bewundernswerte Frau. Um eine solche Karriere zu managen, braucht man sicher breite Schultern. Ich stelle mir einfach vor, ich wäre Meryl Streep (lacht)."
Und den Tanzstil hast du dir von PJ Harvey abgeschaut?
"(Lacht) So weit würde ich nicht gehen. Aber ja, es war heute das erste Mal, dass ich auf der Bühne total aus mir herausgegangen bin. Ich habe dieses Jahr versucht, meine eigene Körpersprache zu entwickeln. Ich war vorher zu steif, meine Arme klebten am Körper. Und dann habe ich mir gesagt, ich sollte keine Angst davor habe, mich lächerlich zu machen, und einfach den Moment auskosten. Übung macht es natürlich immer besser. Ich liebe es, meine Gefühle auszudrücken – und das bis in die Fingerspitzen!"
Das Konzert war sehr früh. Ist es schwierig, bei solch einem Festival als Erste auf der Bühne zu stehen?
"Schon ein bisschen. Man fragt sich, ob die Leute schon wach und aus den Zelten geklettert sind. Andererseits kann ich mir selbst jetzt die Konzerte ansehen, das finde ich ziemlich gut!"
Was wirst du dir anschauen?
"Foals, Florence and the Machine, Beck, Lianne La Havas – eine tolle Stimme. Aurora habe ich leider verpasst, weil sie direkt nach mir gespielt hat. Und mein kleiner Bruder ist auch hier, der möchte unbedingt Macklemore sehen."
Katrin Margraff - Bilder: Rob Walbers, BRF