Das Werchter-Wetter ärgert nicht nur die Festivalgänger, auch die Bands selbst. Durch die fehlenden Parkplätze und den schlechten Zustand der Wiesen staut es sich rund um das Festivalgelände. Trixie Whitley ist mit Sack und Pack im Stau stecken geblieben und war zehn Minuten zu spät auf der Bühne.
"Wir haben uns prima amüsiert. Einziger Wermutstropfen: Durch die Bedingungen waren wir spät dran und mussten überstürzt aufs Podium. Wir hatten keine Zeit, uns auf das Konzert einzustellen. Wir sind quasi durch den Regen gespurtet und dann sofort auf die Bühne. Aber ich hoffe, den Leuten hat es trotzdem gefallen.“
Den überstürzten Auftritt hat man der 29-jährigen Belgo-Amerikanerin am Anfang leider auch angemerkt. Bei "Soft Spoken Words" ist die Band noch nicht wirklich angekommen. Und in "A Thousand Thieves" greift Whitley sogar einmal daneben. "Die Bühne ist eigentlich der Ort, ab dem ich mich wohl fühle. An dem ich mich am meisten zu Hause fühle. Im täglichen Leben bin ich ein Nervenbündel. Auf der Bühne ist das etwas ganz anderes. Aber diese Situation hier war anders."
Als Whitley dann aber ihre Gitarre weglegt, tanzt und durch den Mittelgang läuft, ist das Eis gebrochen. "Wir kommen direkt aus New York und aus London. Ich war nicht auf das Wetter vorbereitet und bin nicht passend angezogen", scherzt Whitney - in einem durchsichtigen schwarzen Kleid - und unterhält sich mit dem Publikum.
Kraft und Weiblichkeit – kein Gegensatz
Dann ist wieder die Gitarre dran. Dass sie wie ein Mann spielt, will Trixie Whitley aber nicht hören. "Ich habe ein Problem mit der Rollenverteilung in unserer Gesellschaft. Als Frau kannst du doch genauso gut ein Instrument spielen können wie ein Mann. Schade, dass in unserer Gesellschaft alles Gute immer mit etwas Männlichem assoziiert werden muss. Wenn ein Frau das tut, was die Gesellschaft den Männern vorbehält, wird sie dann sofort Mannsweib geschimpft. Das ärgert mich. Ich bin eine sehr weibliche Frau, aber auch eine Frau mit sehr viel Kraft."
Schon mit zwölf Jahren wagte sich Trixie Whitley an eine "Männerdomäne". "Mein erstes Instrument war das Schlagzeug. Ein Instrument, das auch immer mit Männern assoziiert wird. Aber es war nunmal das Instrument, was mich angesprochen hat. Glücklicherweise hat meine Familie nicht gesagt, dass nur etwas für Jungs ist. Das hat mir Selbstsicherheit gegeben. Ich war ein junges Mädchen, das gerne Schlagzeug spielte. Jetzt bin ich eine junge Frau, die gerne Gitarre spielt."
Trixie Whitley drückt sich aber nicht nur durch ihre vielseitige Stimme und Instrumente aus, sondern auch durch Tanz. "Ich tanze enorm gerne, auch wenn ich ausgehe. Ich bewege mich sinnlich, das bedeutet aber nicht, dass ich alle Männer um mich herum anmachen will. Eher im Gegenteil! Ich hoffe, dass ich jungen Mädchen zeigen kann, dass man sich wohl in seinem Körper und in seiner Sexualität fühlen soll und darf. Was der Rest der Welt davon hält, ist schließlich nicht mein Problem."
"Ich denke, was mich von vielen Popstars unterscheidet, ist, dass ich Musik mache, die sich für mich gut anfühlt. Nur dann kann ich etwas ans Publikum weitergeben, nur dann gibt es einen Austausch. Solang ich mich selbst ausdrücken kann mit meinem Instrument oder meinem Körper, und solange das sich gut für mich anfühlt, solange kann ich dem Publikum etwas geben. Und das Publikum gibt mir etwas zurück. Mit 12.000 Menschen zu kommunizieren, das fühlt sich richtig gut an."
Mutter werden: Ein einschneidendes Erlebnis
Vor zwei Jahren stand Whitley zum ersten Mal auf der Werchter-Bühne. Damals verriet sie, dass sie schwanger ist. Auch dieses Mal war ihre kleine Tochter Thema auf der Bühne. "Es ist fantastisch, Mutter zu sein. Meine Tochter ist so süß. Ich vermisse sie so sehr. Mutter zu werden ist eine wahnsinnige Erfahrung und ein einschneidender Moment. Da ist plötzlich ein Lebewesen, das von dir abstammt. Du hast einen Spiegel vor dir und bist Vorbild. Du musst dir überlegen, welches Vorbild du sein möchtest."
"Und gerade weil ich eine Tochter habe, möchte ich ihr zeigen, dass sie alles sein darf und alles machen darf, was sie will. Insofern hat das Muttersein mich sehr viel gelehrt. Ich will ihr Selbstbewusstsein vorleben. Sie muss nicht Näherin werden, weil sie ein Mädchen ist. Auch wenn das natürlich auch in Ordnung wäre. Sie darf machen, worauf sie Lust hat. Selbständigkeit und Selbstsicherheit, das will ich ihr vermitteln.“
Der Titel des zweiten Albums "Porta Bohemica" ist eine Referenz an das ständige Reisen in ihrer Kindheit - hin und her zwischen Gent und New York. "Ich bin jetzt vor allem bei mir selbst 'angekommen' und fühle mich wohl in meiner Haut. Auch wenn das so nach Klischee klingt. Als Künstlerin werde ich sicher immer eine Art Bohème-Leben führen. Nicht nur, dass man viel unterwegs ist, man versucht auch seine persönlichen Grenzen zu verschieben und seinen Horizont zu erweitern. Wenn du dich wohl in deiner eigenen Haut fühlst, kannst du überall zu Hause sein."
Unverhofft kommt oft
Trixie Whitley lebt derzeit in Brooklyn, New York. "Da ist gerade mein Nest, da lebe ich mit meiner Familie. Aber wer weiß, was die Zukunft bringt. Ich plane nichts. Um die nächste Ecke wartet nämlich mit Sicherheit eine Veränderung. Darauf musst du vorbereitet sein: dass das Leben immer wieder neue Überraschungen parat hat. Man hatte mir gesagt, dass ich keine Kinder bekommen kann. Und dann war ich plötzlich schwanger und darauf überhaupt nicht vorbereitet. Aber du kannst eben nicht alles planen und kontrollieren."
"Die Frage war: Wie soll ich das schaffen? Als Künstlerin, die auf Tour geht? Ich bin nicht Beyoncé, die mit ihrem Baby um die Welt jettet. Es gab keine Blaupause, ich musste einfach schauen, wie ich das auf die Reihe kriege." Zwölf Tage sind Mutter und Tochter nun getrennt. Papa und Oma passen auf die Kleine auf. "Ich habe das große Glück, dass mein Partner und seine Familie hinter mir stehen. Er weiß einfach, dass ich ohne meine Musik nicht ich selbst bin und dass ich auch eine viel bessere Mutter bin, wenn ich meine anderen Seiten ausleben kann."
"Vor allen Dingen kann ich nichts anderes, bin nicht für einen anderen Job qualifiziert. Ich habe kein Diplom, ich muss aber irgendwie die Brötchen nach Hause bringen. Eigentlich bin ich, aus der Sicht der Gesellschaft, ein Loser. Aber glücklicherweise habe ich ein Talent, das mir erlaubt, vor einem Saal voller Menschen zu stehen." Ob Werchter oder die Studio-Brüssel-Session vor einigen Wochen im Atomium - sämtliche Konzertvarianten machen Whitley Spaß. "Beides gefällt mir gut: intime Konzerte, solo und vor kleinem Publikum, aber auch die Performance auf einer großen Bühne wie hier bei Rock Werchter."
"Ich will mich da nicht einschränken. Alles ist möglich. Genau das will ich ja auch meiner Tochter vorleben. Natürlich hat jede Entscheidung ihre Konsequenz – auch Entscheidungen, die du nicht triffst, haben ihre Folgen. Du bist verantwortlich für das, was du tust oder was du unterlässt. Du hast dein Leben in deiner Hand. Du hast das Recht, dir dein Leben so schön zu machen und es so zu gestalten, wie du es willst. Darin will ich sie unterstützen und begleiten. Indem ich selbst ihr vorlebe: You can do it!"
Katrin Margraff