Blake und Mortimer wirkten immer so ein bisschen wie entfernte Stiefonkel von Tintin. Während die Tim und Struppi-Geschichten tatsächlich für die sprichwörtlichen "Leser zwischen 7 und 77" geeignet waren, kamen die beiden Helden des Comic-Zeichners Edgar Pierre Jacobs immer wesentlich ernsthafter und vor allem intellektueller daher.
Das hatte vielleicht auch schon damit zu tun, dass Edgar Pierre Jacobs, der bis heute in der Comic-Szene aber auch von Science-Fiction-Freunden verehrt wird, eigentlich ein Quereinsteiger war. Zu ihm würde besser der Begriff UFO passen. Jacobs war eigentlich Musiker, Opernsänger um genau zu sein. Die Musik habe ihn schon von Kindesbeinen an elektrisiert, sagte Jacobs in einem seiner seltenen Interviews, das die Gesellschaft Sonuma für die Nachwelt erhalten hat. "Musik - das ist mein Leben", sagt Jacobs.
In der Zwischenkriegszeit lässt sich der 1904 geborene Brüsseler zum Opernsänger ausbilden und bekommt eine Anstellung als Bariton im französischen Lille. Der Zweite Weltkrieg beendet seine Karriere aber erst einmal. Um über die Runden zu kommen, arbeitet Jacobs als Zeichner für das Jugendmagazin Bravo. "Zeichnen - das war nie mehr als ein Job", sagte Jacobs.
Aber, wie das Leben so spielt... Ein gewisser Hergé war auf Jacobs aufmerksam geworden und macht ihn zu seinem Assistenten. Der Vater von Tintin hat Jacobs sogar in einigen Alben in Statistenrollen verewigt...
Kurz nach dem Krieg stürzen sich beide in das Projekt Tintin, die Jugendzeitschrift, die Raymond Leblanc lanciert hatte. Im Herbst 1946 erscheint die erste Ausgabe. Vier Zeichner arbeiten an dem Magazin. Da gab's nur ein Problem: Mit Ausnahme von Hergé hatten sich alle anderen geschichtliche Storys ausgedacht. Deswegen habe man ihn dann beauftragt, sein Szenario wegzuwerfen und eine moderne Geschichte zu erarbeiten, die im Hier und Jetzt spielt.
Jacobs musste also in kürzester Zeit umdisponieren. "Was mach' ich jetzt", fragt er sich. Ok: Er habe immer schon Science Fiction gelesen. Seine Lieblingsautoren waren H.G. Wells und Arthur Conan Doyle - das war ja schonmal ein Anfang.
Science Fiction, England - man ahnt es schon: Das war die Geburtsstunde von Blake und Mortimer. Der Physiker Philip Mortimer und der Geheimdienstoffizier Francis Blake kommen "very british" daher, fast schon wie aus der viktorianischen Zeit. Und diese beiden Gentlemen werden mit doch seltsamen Geschichten konfrontiert, einer neuartigen Waffe, einer rätselhaften geheimen Kammer in der Cheops-Pyramide, einer Maschine, die einen Menschen fernsteuern kann, einem verrückten Wissenschaftler, der das Wetter verändern kann und sogar eine Zeitmaschine baut.
Entscheidend war dabei, dass das Ganze immer noch glaubwürdig und plausibel wirkte. Jacobs drückte es so aus: "Man muss wissen, bis wo man zu weit gehen kann." Heißt: Science Fiction muss sich immer noch irgendwie in der Realität einbetten.
Das war denn auch die Stärke der Comics von Edgar Pierre Jacobs. Die Geschichten waren immer außerordentlich gut recherchiert. Startpunkt war der letzte Stand der Technik seiner Zeit. Er selbst war sich bis zuletzt nicht darüber bewusst, wie viele Leser er damit erreichte. So war er 1982 doch ganz überrascht, dass die Journalistin, die ihn interviewte, seine Geschichten kannte.
Aus dieser Anekdote spricht nicht nur Bescheidenheit, sondern auch ein gehöriges Maß an Frust. Jacobs erfuhr eine doch recht späte Würdigung. Vielen galt und gilt er als zu intellektuell, zu textlastig. Mit Blake und Mortimer hat Jacobs dennoch zwei Helden geschaffen, die in der franko-belgischen Comicwelt einen Ehrenplatz haben. 70 Jahre und kein bisschen alt: Die Serie wurde fortgesetzt. Blake und Mortimer haben ihren Vater überlebt. Edgar Pierre Jacobs starb 1987...
Roger Pint - Bilder: Yves Boucau/BELGA