Sie sind erst zehn und 14 Jahre alt. Tori und Lokita mussten ihre Heimat in Afrika verlassen und landen in Belgien. Der Versuch der beiden Kinder, sich als Geschwister auszugeben, um einen legalen Aufenthalt zu erwirken, scheitert. Die Kinder geraten in die Fänge von Drogendealern.
"Tori et Lokita" ist unter anderem in der Lütticher Region gedreht worden - mit Laiendarstellern in den Hauptrollen der Kinder. Ihre Geschichte ist erfunden und könnte sich doch genau so abspielen. Denn die Idee zum Drehbuch entwickelten die Brüder Dardenne auf der Grundlage von Zeitungsberichten, erzählt Jean-Pierre Dardenne. Jedes Jahr verschwänden in Belgien hunderte minderjährige Flüchtlinge ohne Begleitung, und die meisten endeten in kriminellen Netzwerken, wo sie ausgebeutet würden. Die Polizei mache kaum etwas dagegen, weil sie anderes zu tun habe. "Wie kann es sein, dass in einem Rechtsstaat hunderte Kinder im Jahr verschwinden, ohne dass man sich darum kümmert", fragt Dardenne.
Es sind Kinder wie der zehnjährige Tori, der als sogenanntes Hexenkind in seiner Heimat verfolgt wird, oder die 14-jährige Lokita, die von ihrer Mutter geschickt wird, um Geld für den Schulbesuch ihrer Brüder aufzubringen. Diese Kinder litten unter einer unermesslichen Einsamkeit, die sich auch in körperlichen Symptomen äußere, zitiert Regisseur Jean-Pierre Dardenne Psychologen und Ärzte. Es sei das erste Mal in der jüngeren europäischen Geschichte, dass Kinder alleine emigrierten. Früher seien immer die Eltern zuerst ausgewandert und hätten dann ihre Familien nachgeholt.
Für ihren Film sind die Brüder Dardenne in Cannes mit einem Sonderpreis der 75. Filmfestspiele ausgezeichnet worden. Ihren Preis haben sie einem Bäcker im französischen Besancon gewidmet. Der Mann war in den Hungerstreik getreten, um seinen Lehrling vor der Abschiebung zu schützen. Die Geschichte ging gut aus. Heute lebt der junge Mann in Nantes, wo er seine eigene Bäckerei eröffnen wird.
Doch nicht alle haben dieses Glück. In Belgien leben 150.000 Menschen ohne Papiere. Das sei empörend, so die Bischöfe von Gent und Lüttich im Anschluss an die Filmvorführung der Brüder Dardenne. Ohne Papiere dürften diese Menschen nicht arbeiten und würden wie die Filmprotagonisten gezwungen, in den Untergrund zu gehen, und in den Drogenhandel oder andere illegale Geschäfte hingezogen. Es sei geradezu absurd, so der Lütticher Bischof Delville: Die belgische Wirtschaft und Industrie brauchten Arbeitskräfte. 150.000 Menschen stünden bereit. Aber sie könnten nicht eingestellt werden, weil sie keine Papiere haben. "Das ist ein großes Problem, für das man meiner Meinung nach ein viel effizientere Lösung finden müsste", so Delville.
Der Film der Brüder Dardenne zeigt, wohin diese absurde Situation führt. Doch ihrer tragischen Lage haben die Kinder etwas entgegenzusetzen: ihre tiefe Freundschaft. Minderjährige wie erwachsene Flüchtlinge brauchten Solidarität und Unterstützung. Alleine schafften sie es nicht, so Regisseur Jean-Pierre Dardenne. Und so ist "Tori et Lokita" vor allem ein Film über eine Freundschaft, die auffängt und Heimat gibt.
Michaela Brück