Deshalb war die Veröffentlichung des Bandes auch lange umstritten. Die Tochter von Franquin wollte die Veröffentlichung lange verbieten. Als Grund gab sie an, dass ihr Vater gesagt haben soll, dass er nicht wolle, dass jemand anderes nach seinem Tod Gaston als Figur weiterleben lässt.
Weil der Verlag Dupuis dieses Argument aber nicht gelten lassen und einen neuen Gaston-Band unbedingt veröffentlichen wollte, ging der Streit vor Gericht. Nach einigem Hin und Her durfte der neue Band erscheinen.
Kein Wort über den Streit
In der deutschen Übersetzung, die jetzt im Hamburger Carlsen Verlag erschienen ist, erfährt der Leser nichts über diesen Streit.
Vielmehr fängt der Band direkt an, wie jeder der 21 Bände von Gaston Lagaffe zuvor: Der Leser wird direkt in das Universum des sympathischen Anti-Helden geworfen. In Band 22 betritt Gaston im ersten Bild die Redaktionsräume des Spirou-Heftchens - dort, wo Gaston ja "arbeitet" und mit seiner Auffassung von "Arbeit" seine Kollegen in alle möglichen Gefühlslagen versetzt - von Verzweiflung bis zur kochenden Wut.
Gaston tut so, als ob seine Rückkehr das normalste der Welt wäre. Aber seine Kollegen geben sich durchaus erstaunt. "He, wen haben wir denn da?" "Mensch, ist ja ewig her", sagen sie, durchaus erfreut. Aber - wie man Gaston kennt - schon am Ende der ersten Seite ist diese Harmonie dahin.
Demel, Krause und all die anderen
Alle bekannten Figuren aus den bisherigen Gaston-Bänden tauchen auch im neuen Band wieder auf: der Chefredakteur Demel, der Zeichner Krause, der Wachtmeister Knüsel, das Fräulein Trudel, Alfons von gegenüber und, und, und. Auch die Möwe und die Katze von Gaston sind wieder dabei. Gastons Auto und im zweiten Teil des Bandes sogar Fantasio, Spirou und das Marsupilami.
Für den Leser wirkt das so, als ob es zwischen dem bislang letzten Band 21 und dem neuen Band 22 nicht die langjährige Pause gegeben hat, die nach Franquins Tod Anfang 1997 angebrochen war.
Das liegt zum einen daran, dass das alte Universum von Gaston auch sein neues ist. Auf eine Modernisierung hat der neue Gaston-Zeichner, der Kanadier Delaf, verzichtet.
Schalk im Nacken
Zum anderen liegt die Vertrautheit daran, dass Delaf seine Aufgabe als neuer Gaston-Zeichner wirklich gut gemeistert hat. Die Schuhe des Meisters Franquin waren zwar groß, aber der Kanadier Delaf passt da sehr gut rein. Die Figuren sehen so aus wie bei Franquin und die neuen Sketche stehen den alten in nichts nach. Sie sind genauso witzig, wie aus der Feder von Franquin. Mit schönen Einfällen, bei denen man sieht, dass auch dem neuen Zeichner der Schalk im Nacken sitzt.
Auch auf neue fantastische Erfindungen von Gaston muss der Leser nicht verzichten. Er lernt zum Beispiel ein Antitaschendieb-Portemonnaie kennen, oder ein Ga-fon, ein erstes mobiles Telefon, dem Gaston eine "große Zukunft" vorhersagt - natürlich eine Anspielung auf heute.
"Ach, Franquin…"
Grundsätzlich gestaltet Delaf seinen Band durchaus selbstreflektierend. Er weiß, was er sich als quasi Stiefvater von Gaston da zugemutet hat. Einmal lässt er im Comic Zeichner Krause sogar sagen "Ach, Franquin: Oft kopiert, nie erreicht".
Ob das Delafs aufrichtige Meinung ist oder Understatement, mag dahingestellt sein. Aber auf jeden Fall ist dem Kanadier ein wirklich guter Gaston-Band gelungen, der ohne Bruch und auf vollkommen gleichem Niveau die Reihe der bisherigen Gaston-Bände erweitert.
Der Comic
Der Comic "Gaston 22 - Die Rückkehr eines Chaoten" von dem Zeichner Delaf ist im Carlsen Verlag aus Hamburg erschienen, umfasst 48 Seiten und kostet 15 Euro.
Kay Wagner