In der Graphic Novel "Die Synagoge" geht es im Grunde um den ganz gewöhnlichen Antisemitismus im Alltag. Ein Antisemitismus, der latent immer da ist in unseren westlichen Gesellschaften. Der nur hier und da mal aufflackert. Der sich gerade deshalb aber schnell zu einem Flächenbrand entwickeln kann. Immer dann, wenn irgendein Ereignis den Vorwand dazu liefert. Wie eben jetzt der Krieg von Israel gegen die palästinensische Hamas.
Geschichte in "Die Synagoge"
Der Autor Joann Sfar ist 1971 geboren und selbst Jude. Er hat als Comic-Zeichner seit mehr als 20 Jahren seinen festen Platz in der französischen Comic-Szene. Dort - und auch im deutschsprachigen Raum - ist er vor allem durch seine Comic-Reihe "Die Katze des Rabbiners" bekannt. Joann Sfar führt den Leser in "Die Synagoge" - eine Graphic Novel, die in Frankreich schon im vergangenen Jahr erschienen ist - zurück in seine eigene Kindheit und Jugend.
Die hat er in den 1980er Jahren in der südfranzösischen Stadt Nizza verbracht. Sfar verliert früh seine Mutter und wird vor allem von seinem Vater erzogen. Der ist ein Jude aus Algerien und nach dem Ende der französischen Kolonialzeit von Algerien nach Nizza gekommen und arbeitet dort als Anwalt.
Dem Vater ist die jüdische Erziehung seines Sohnes wichtig. Nicht die ganz fromme jüdische Erziehung, aber doch der regelmäßige Besuch der Synagoge. Über diesen Vater bekommt Sfar viel mit von dem, was in den 1980er Jahren mit den Juden passiert, in Nizza oder auch in anderen Teilen Frankreichs.
Seinen eigenen Weg in diesem Umfeld finden
Der junge Sfar hört von Anschlägen auf Juden, bekommt mit, wie sein Vater als jüdischer Anwalt bedroht wird, wie sein Vater darauf vor allem auch mit eigener Gewalt reagiert. Die Graphic Novel erzählt, was da passiert und wie der junge Sfar als Kind und Jugendlicher versucht, damit klar zu kommen und seinen eigenen Weg zu finden.
Er macht das, indem er sich zunächst am Beispiel seines Vaters abarbeitet. Er versucht, Gewalt als Lösung zu suchen. Er geht in Kurse für Selbstverteidigung, meldet sich freiwillig zur Bewachung der Synagoge während des Gottesdienstes. Das macht er aber auch, um nicht selbst bei den Gottesdiensten mitmachen zu müssen, mit denen er nicht so viel anfangen kann.
Er sucht auch bewusst die Nähe zu Skinheads, um sie zur Gewalt zu provozieren. Aber bei all dem merkt er irgendwann, dass das so nicht funktioniert.
Eintauchen in das Nizza der 1980er Jahre
Mehrere Dinge gefallen an "Die Synagoge". Da ist zum einen das Eintauchen in das Nizza der 1980er Jahre, mit den Spannungen, die es in Frankreich zu der Zeit gab. Das ist die Zeit, in der Jean-Marie Le Pen seinen Front National in Nizza gründet, die rechtsextreme Partei, die jetzt so stark in Frankreich ist.
Man lernt etwas über die Voraussetzungen dazu und auch, wie sich Antisemitismus immer halten kann und immer wieder Nährstoff bekommt. Sfar spannt zwischendurch immer mal wieder auch den Bogen zur Nazi-Zeit und wie sie die Franzosen der damaligen Zeit beeinflusst.
Sfar betrachtet alles aus der heutigen Perspektive, zeigt sich selbst, wie er mit heftigem Corona-Befall in einem Krankenhaus behandelt wird. Das schafft Raum für reflektierende Betrachtungen. Sfar entwickelt interessante Gedanken zur Bedeutung von Gewalt, von Rechtsprechung, zum Funktionieren oder auch Nicht-Funktionieren von Feindbildern.
Der Anhang zur eigentlichen Geschichte ist auch gut gelungen. Da werden Zeitungsartikel und Fotos abgedruckt, die viel von dem historisch belegen, was in der Geschichte als Fakten angesprochen oder behauptet wird. Da ist auch eine Chronologie der antisemitischen Vorfälle in Frankreich zu finden.
Es ist das Werk eines selbstreflektierenden Künstlers, der sich fragt: "Warum ist das alles so, wie es ist? Dieser Hass auf die Juden, der auch heute aktuell wieder hochkocht. Was habe ich persönlich dagegen getan? Was ist meine Antwort darauf? Und was könnte die Antwort der anderen sein?".
In deutscher Übersetzung ist das Buch jetzt im Avant-Verlag erschienen, gut 200 Seiten kosten 30 Euro.
Kay Wagner