"Die Welt in Keller und Balkon" haben die beiden Aachener Künstler Wendelin Haverkamp und Dieter Kaspari ihr erstes Projekt genannt. Es ist ein telefonischer Dialog, mit dem sie die erzwungene Distanz durch die Corona-Krise künstlerisch durchgestanden haben. Danach haben sie fotografisch-poetische Monatsblätter herausgebracht, und jetzt ihr drittes gemeinsames Projekt: ein Buch.
"Eine Zeitungskolumne von mir lief 25 Jahre lang. Aus jedem Jahr habe ich einen Text ausgesucht und überarbeitet", erklärt Wendelin Haverkamp. "Dieter Kaspari hat das Ganze bebildert, im Grunde das mit den Augen nachvollzogen, was ich angesprochen habe."
Politisches, Komisches, Verrücktes - aus hunderten Texten galt es auszuwählen. Es sollte ein Mix der besten werden, anregen und neue Perspektiven eröffnen. Vieles aus dem Aachener Blickwinkel und darüber hinaus. "Je mehr es ins Regionale geht, je mehr es ins Kleine geht - das fand ich übrigens an Ostbelgien immer so interessant - umso mehr merkt man, dass das ein Thema ist, das weltweit wichtig ist."
"Man erkennt die wichtigen Dinge nicht immer daran, dass man global guckt, sondern auch oft daran, dass man nach innen, ins Kleine guckt und findet dann das Wichtige und merkt, was das für eine globale Bedeutung hat."
Die Texte sind in aktuellen Zusammenhängen entstanden. Damit sie heute noch verständlich sind, hat Wendelin Haverkamp sie überarbeitet und dabei gestaunt, wie konstant viele Themen geblieben sind. "Wir glauben, dass wir uns in einem permanenten Fortschritt befinden. Wir schaffen es, zu verbessern und zu optimieren. Der Glaube an den Fortschritt ist ein Fehlschluss. Das ist nicht so."
Ein Thema hat Wendelin Haverkamp schon vor 25 Jahren beschäftigt: die Digitalisierung. Und er warnt heute weiter - zum Beispiel vor der versimpelten Kommunikation asozialer Netzwerke, wie er sie nennt, und der "Verblödungslücke", die schnellstens geschlossen werden müsse.
"Die Absturzgefahr aus der Digitalisierung wird immer größer, weil die Abhängigkeit immer stärker wird. Im medizinischen Bereich sind bildgebende Verfahren oder Datenübertragung sinnvoll, da müssen wir nicht drüber diskutieren. Aber im Bildungsbereich, im Kommunikationsbereich ist es nur schlimmer geworden. Wir haben immer noch nicht erkannt, welche große Gefahr darin steckt", glaubt Haverkamp.
Zu den Kolumnen hat Dieter Kaspari die Fotos geliefert - ausgesucht aus einem riesigen Archiv. "Ich habe zwar ein Riesenarchiv, aber die wichtigen Fotos kenne ich alle und finde ich sofort. Ich habe die Texte gelesen und dann die Fotos rausgesucht. Ich will es dem Leser nicht einfach machen und hoffe, dass da auch Witz drin ist."
Das Titelfoto zeigt ein ostbelgisches Motiv: die Gileppe-Talsperre. "Ich habe vor 30 Jahren viel über alte Industrien gemacht und war oft im Wesertal. Meine Pause habe ich immer an der Gileppe gemacht. Da war eine gute Frittenbude!" Das Foto ist im Rahmen eines Workshops entstanden, den Dieter Kaspari durchgeführt hat. "Ich war mit einer Gruppe unterwegs. Das Interessante: Sie fotografieren alle vom gleichen Standpunkt und bringen alle andere Fotos mit. Das ist wichtig und gut, dass jeder die Dinge anders sieht."
Von Anfang an stand fest, dass es schwarz-weiß Fotografien sein sollten, die die Texte von Wendelin Haverkamp begleiten. "Die Schwarz-Weiß-Fotografie reduziert die Dinge auf das Wesentliche. Das bringt eine Art Sachlichkeit darein", erklärt Dieter Kaspari.
Dieter Kaspari hat einige Lieblingsfotos mit in die Auswahl genommen. Eines davon ist eine Frittenbude - allerdings nicht in Belgien, wo er so oft fotografiert, sondern in Alsdorf-Busch. "Das ist eine Bergarbeitersiedlung. Ich habe noch den Zusammenhalt erlebt. Da stand diese Frittenbude. Da spielte sich abends alles ab. Da trafen sich die Leute. Heute ist alles zugebaut - eine andere Welt."
Vieles hat sich in den 25 Jahren verändert, vieles ist konstant geblieben, stellt Wendelin Haverkamp im Rückblick fest. Und noch eine Erkenntnis: "Wie unwichtig manche Dinge waren, die man damals für wichtig gehalten hat. Auch das ist einer der großen Irrtümer, denen man gerne unterliegt."
Es gibt vieles zu entdecken in den Texten von Wendelin Haverkamp und Fotos von Dieter Kaspari - oder wie die beiden sie nennen: in den "satirischen Kolumnen in fotografischer Beleuchtung". "Wenn sie es schaffen, nachdenklich zu machen, wäre ich zufrieden. Wenn sie dann noch amüsant sind, dann hat es geklappt", findet Wendelin Haverkamp.
Michaela Brück
Hervorragend. Glänzende Arbeit von Herzen! Sehr gut gemacht. Bravo den beiden!