Es ist eine erfrischend neue Perspektive, die Katharina Strobel mit ihrem Büchlein eröffnet. Der Blick auf Europa aus der Sicht der Europafamilien. Die in Hamburg aufgewachsene Journalistin wohnt heute mit ihrem britischen Mann im Großraum Brüssel. Die Erfahrungen in ihrer eigenen Europafamilie hat sie zum Anlass genommen, weiter zu schauen: Wie leben andere Europafamilien ihren Alltag? Wie kommen sie zurecht, welche Probleme haben sie, was ist das besondere an einer Europafamilie?
Als die Grenzen zwischen den europäischen Ländern dank der EU fielen, wurde es einfacher, von hier nach da, von Spanien nach Deutschland, von Deutschland nach Dänemark zu ziehen, und dort jemanden zu heiraten. Mehrere Millionen solcher Europafamilien gibt es heute, so Strobel, und viele von ihnen haben Kinder.
Katharina Strobel hat selbst Kinder und schreibt in ihrem Buch: "Wenn meine Kinder in ihrer Schule in Belgien, an der über 70 Nationen vertreten sind, den Internationalen Tag feiern und in Trachten ihres Heimatlandes erscheinen sollen, haben sie die Wahl zwischen Schottenrock und Matrosenhemd. Sie könnten sich auch in den Farben der belgischen Flagge kleiden oder in Weiß-Rot, wie das englische Sankt-Georgs-Kreuz. Die Frage 'Wo kommt ihr her?' können sie nicht mit einem Land beantworten, aber ein Wort ginge schon: Europa."
Ungewöhnliche Lebenswege
Immer wieder kommt Strobel auf eigene Erlebnisse zurück, nutzt sie aber immer nur als Ausgangspunkt dafür, um den Blick auf andere zu richten. Und so stehen in ihrem Buch die Besuche bei anderen Europafamilien im Zentrum. Strobel hat sie alle besucht. Die deutsch-englische Familie Schon in Cambridge, eine deutsch-spanische Familie in Berlin, eine deutsch-polnische Familie in Warschau. Sieben solcher Familien stellt sie in ihrem Buch vor, immer aus privater Sicht der Reisenden, die sich als Gast die Familiengeschichte erzählen lässt.
Das ist immer spannend, weil die Lebenswege der Protagonisten selbst spannend sind. Ungewöhnlich eben, kosmopolitisch, europäisch. Auch über Probleme dieser Famlien schreibt Strobel, zum Beispiel über den Zwang, als Europafamilie Kompromisse eingehen zu müssen.
So musste der Deutsche Oliver Schon sich von der Vorstellung verabschieden, dass seine Kinder einmal fließend Deutsch sprechen werden. Sie wurden im englischen Cambridge groß, verstehen alles, was ihr Vater sagt, aber das eigene Deutsch ist weniger perfekt.
Manchmal werden die Einblicke in die Familien sehr persönlich, schlittert die Schilderung haarscharf am Kitsch vorbei. Zum Beispiel, als Strobel über den Deutschen Christoph Steinke schreibt, wie er seine finnische Frau im Studentenwohnheim in Marburg kennengelernt hat: "Das finnische Fräulein zieht den jungen Hessen magisch in den Bann und lässt ihn nicht wieder los. Noch heute, 45 Jahre später, guckt er sie so an, wie er es damals in der Marburger Gemeinschaftsküche getan haben muss: ein bisschen verlegen, zugleich hingerissen und sehr, sehr zärtlich." Aus Passagen wie dieser Spricht die ganze Sympathie, die Strobel für ihre Protagonisten hat.
Interviews
In einem zweiten Teil des Buches sind Interviews zu lesen mit mittlerweile erwachsenen Kindern aus Europafamilien. Hier spiegelt sich das gleiche Bild, das Strobel aus ihrer eigenen Familie kennt: Als Deutscher, Spanier, Belgier oder Brite fühlt sich hier keiner, alle fühlen sich eher als Europäer.
Europa als neue Heimat für die Europäer? Strobel fragt sich selbst: "Ist das Europaromantik? Nein. Es ist der Versuch, den Kontinent als einen grenzenlosen Raum der Möglichkeiten zu begreifen und ihn für seine 500 Millionen Einwohner in allen Lebensbereichen zu erschließen. Welche sinnvolle Alternative könnte es dazu geben?"
Das Buch "Familie auf Europäisch" ist deshalb ein pro-Europabuch, bewusst militant, interessant zu lesen. Europafamilien dient das Buch gleichzeitig als Ratgeber. Denn am Ende des Buches werden kurz auch einige europäische Regelungen beschrieben wie Anerkennung der Schulabschlüsse, Namensrecht, Rente und Sozialleistungen.
Ein durchaus lohnendes Buch also, das zeigt, wie gut Europa im Kleinen bereits funktioniert. Nicht problemfrei, aber freudig.
Katharina Strobel
Familie auf Europäisch. Liebe und Alltag zwischen den Kulturen
CH. Links Verlag, Berlin 2017
216 Seiten, 18 Euro
ISBN 978-3-86153-964-3
Kay Wagner