Schon das Ausstellungsposter ist verstörend: Was auf den ersten Blick wie das Gesicht einer attraktiven jungen Frau aussieht, entpuppt sich auf den zweiten Blick als eine Person, die eine Maske trägt mit Reptilien-Augen und einer langen schwarzen gespaltenen Zunge.
Aber was will uns dieses Bild sagen? Soll die Schlangensymbolik uns an Falschheit erinnern, an Manipulation? Oder geht es darum, dass wir ja gar nicht wissen, wer oder was unter dieser Maske steckt? Steht die Maske also für Vorurteile, Klischees und Stereotype, mit denen die dahinter stehenden Menschen schlecht gemacht werden sollen?
Die Besucher werden also von Anfang an angeregt, zu hinterfragen, was sie sehen, und über ihre Wahrnehmung nachzudenken. Es ist ein gewollter und interaktiver Dialog zwischen Besuchern und Ausstellung, bestätigt Veerle Vanden Daelen, Konservatorin und Leiterin des Teams "Sammlung und Forschung" der Gedenkstätte Kaserne Dossin in Mechelen. Die Gedenkstätte hat die Ausstellung konzipiert, die nun im Mundaneum von Mons zu sehen ist.
Im Kern geht es dabei um die Mechanismen hinter der Manipulation von Menschen - also Fragen wie: Wie funktionieren Stereotype, also einprägsame und bildhafte Beschreibungen von Personen oder Gruppen? Wer hat Stereotype? Was kann gegen Stereotype unternommen werden, die ja jeder von uns hat? Wie gehen wir damit um? Welche Gefahren entstehen aus Propaganda und ab wann wird es gefährlich? Wie funktionieren Propaganda, Verschwörungstheorien, Fake News und Framing?
Mit dem Wissen über diese Mechanismen gewappnet, werden die Besucher dann mit historischen antisemitischen Bildern konfrontiert. Das Material stammt aus der vermutlich größten Sammlung ihrer Art, die der belgische Shoah-Überlebende Arthur Langerman in vielen Jahrzehnten zusammengetragen hat. Er wolle seine Sammlung mit den Menschen teilen, sagt Langerman. Es gehe ihm darum, zu zeigen, wie Menschen durch Zeichnungen manipuliert werden könnten.
Denn Langerman ist davon überzeugt, dass es die antisemitische Propaganda-Dauerberieselung auch durch Karikaturen war, die den Holocaust erst möglich gemacht hat. 50 Jahre oder länger sei den Menschen eingetrichtert worden, dass der Jude verschwinden müsse, dass er nicht in einer normalen deutschen Gesellschaft leben könne. Jeden Tag hätten die Menschen diese Botschaft bekommen.
Das ist auch das Prinzip, das in der Ausstellung durch die sogenannte "Pyramide des Hasses" verdeutlicht wird: Ganz unten an der Basis steht das Verhalten der Menschen gegenüber einer Minderheit, also zum Beispiel die Verwendung von Stereotypen in Bild und Sprache, taktlose Bemerkungen, das Ausblenden positiver Information. Und dann eskaliert es immer weiter: zu aktiven Handlungen, zu Diskriminierung, zu Gewalt – eine Entwicklung, an deren Ende der Versuch stehen kann, eine Bevölkerungsgruppe physisch auszurotten.
Aber Achtung, in der Ausstellung geht es explizit nicht nur um Antisemitismus, wie Veerle Vanden Daelen hervorhebt, sondern um alle Formen von Diskriminierung und Rassismus - also beispielsweise gegen Migranten, Roma, Menschen afrikanischer oder asiatischer Abstammung oder LGBTQI+-Menschen.
Er habe nur eine einfache Hoffnung, so Arthur Langerman: "dass die Menschen nach dem Besuch der Ausstellung mehr verstehen als davor. Und vielleicht auch noch realisieren, dass die Juden nicht so sind, wie die antisemitische Propaganda sie hinstellt."
Die Ausstellung #FakeImages – Die Gefahren von Stereotypen entlarven im Mundaneum in Mons läuft noch bis Anfang Dezember.
Boris Schmidt
Was ist mit "Fortschritt" gemeint? Schreiten wir von oder vor uns selber fort?