Auf einem Foto hält ein Mensch einen handgeschriebenen Zettel mit der Bitte um Asyl vor seiner Brust. Auf der nächsten Aufnahme liegt der Zettel zerrissen und zertrampelt im Dreck. So illustriert die Fotografin Julia Essl ihre Vorstellung von "Pushback".
Seit 2004 machen sich Fotografen aus Darmstadt daran, das jeweilige Unwort des Jahres ins Bild zu setzen. Andreas Zierhut ist einer von ihnen. "Wir haben das Unwort gewählt, weil wir glauben, dass es wichtig ist, in einen Diskurs über gesellschaftliche Themen einzutreten und an dem auch immer Teil zu haben. Weil ohne einen Diskurs, ohne Streit, ohne Auseinandersetzung ist eine Demokratie nicht möglich. Und wir haben ein bisschen das Gefühl, damit einen Beitrag zu leisten."
Die Umsetzung kann sehr unterschiedlich sein: Bei Rahel Welsen steht "Push Back" auf einer gläsernen Tür, die sich nur nach außen öffnen lässt: im wahrsten Sinne eine "Rauswurf-Tür". Jan "Nouki" Ehlers setzt sich sarkastisch mit dem Unwort des Jahres 2021 auseinander - unter anderem mit der Nachbildung eines Online-Fitness-Tutorials: Pushbacks statt Pushups! Oder mit einem (frei erfundenen) Rapper-Album, auf dem ein abgewandeltes Zitat von Alice Weidel zu finden ist: "Pushback is not a Unwort". Featuring DJ "Front X". Nicht jugendfrei, versteht sich ...
"Gerade bei den Migrationsthemen sind wir meistens ungefähr auf einer Linie", sagt Zierhut. "Das ist jetzt nicht wirklich kontrovers, dass da jemand dabei wäre, der findet: Pushback ist eine gute Idee. Aber trotzdem sieht es jeder ein bisschen anders und jeder forscht auch ein bisschen anders dazu. Und die Ideen, die man findet, die überschneiden sich. Wir machen das jetzt seit 18 Jahren. Und es gab ein einziges Unwort, wo es tatsächlich mal Überschneidungen gab. Ansonsten gab es jedes Mal sechs, sieben, acht, neun inzwischen völlig unterschiedliche Arbeiten."
Andreas Zierhut wollte sich an Ort und Stelle ein Bild machen. Er reiste nach Polen, an die Grenze zu Belarus, in den Nationalpark Białowieża. "Die Leute, die da durch gehen, sind tatsächlich in Lebensgefahr. Das ist ein richtig großer, wilder Urwald. Es gibt wilde Tiere und große Sümpfe. Die Menschen sterben da. Und viele Menschen vor Ort haben das nicht ausgehalten und haben angefangen, in die Wälder zu gehen und die Menschen mit Medikamenten, mit Kleidung, mit Essen, mit Telefon zu versorgen und zu versuchen, denen irgendwie ein Überleben zu ermöglichen und den Zugang zu dem zu ermöglichen, was ihnen nach EU-Recht zusteht, nämlich einen Asylantrag zu stellen."
Die großformatigen Fotografien sind nun bis zum 30. November unter freiem Himmel ausgestellt, auf dem Platz vor der Konstantin-Basilika in Trier. Für die Passanten kaum zu übersehen.
"Manche bleiben stehen und sind dann tatsächlich befasst mit dem Thema", erklärt Andreas Zierhut. "Diese Unworte sind immer irgendwie zynisch. Den Zynismus und das gesellschaftlich Falsche, was da drin steckt, das kann man hoffentlich auch in der Ausstellung entdecken und diskutieren, in welche Richtung auch immer. Es findet eine Auseinandersetzung statt. Und das ist der besondere Reiz daran, so eine Ausstellung in den öffentlichen Raum und nicht in die Galerie zu stellen."
Und es hat einen weiteren Vorteil: Die Fotoarbeiten zum Unwort "Pushback" sind jederzeit zugänglich.
Stephan Pesch