Als Judit Vari vor zweieinhalb Jahren für ihre Doktorarbeit in Ostbelgien Leute suchte, die Platt sprechen, dachten alle zuerst an eine klassische Umfrage. Das war es aber nicht.
"Wenn ich jemandem einen Fragebogen gebe, dann füllt er ihn aus und dann sagen die meisten 'Ja, natürlich bin ich stolz auf mein Platt. Natürlich spreche ich es daheim.' Aber ich wollte an die unbewussten Einstellungen herankommen - nicht mit klassischen Fragebögen, sondern so ein bisschen mit Zaubertricks", so Vari.
Experimente aus der Sozialpsychologie
Ganz so magisch ist es dann doch nicht - vielmehr bediente sich Judit Vari methodisch bei Reaktionszeitexperimenten, wie sie in der Sozialpsychologie angewandt werden: Was verknüpfe ich - ohne lange nachdenken zu können - mit bestimmten Bildern? Und was sagt das über meine unbewusste Einstellung aus?
"Wenn ich nicht lange genug darüber nachdenken kann, wie ich jetzt gerade spreche, sondern automatisch reagiere. Mein Beispiel ist immer Auto fahren, Kinder auf dem Rücksitz drängeln, Ampel ist grün, Telefon klingelt. In solchen sehr alltäglichen Situationen greife ich dann wahrscheinlich nicht auf die bewusste Einstellung zurück: Wie sollte ich das machen? Wie möchte ich sein? Sondern auf die unbewusste. Das könnte auch erklären, warum tatsächlich der Platt-Gebrauch recht rückgängig ist."
Unbewusst negative Besetzung des Dialekts
Wenn der Dialekt unbewusst negativ besetzt ist, weil er von der Norm abweicht - in diesem Fall dem Hochdeutschen. Für Judit Vari ging es in ihrer wissenschaftlichen Arbeit um Sprachstandardisierungsprozesse, darum stand der Fallstudie in Ostbelgien auch eine Untersuchung der Situation in Luxemburg gegenüber.
"Die Idee, dass sich dann eine Nationalsprache eingeführt habe, das macht das dann zu einer echten Sprache. Also so wie es steht, findet das in den Köpfen statt. Also wir Linguisten finden Dialekte genauso wie Sprachen, die jetzt irgendwie ein Wörterbuch haben. Aber die Idee, dass eine Sprache als Standardsprache anerkannt ist, gibt dieser Sprache ein Prestige, noch einmal extra positive Gefühle, die sich dann auch entsprechend widerspiegeln."
Online-Vortrag des Landfrauenverbandes
Die Ergebnisse ihrer Untersuchung wird Judit Vari nun bei einem Online-Vortrag des Landfrauenverbandes vorstellen - schon, wie sie sagt, um sich erkenntlich zu zeigen für die Mitmachbereitschaft der Befragten, die von Landfrauengruppen bis zur Freiwilligen Feuerwehr reichten.
"Mein ältester Teilnehmer war 95 Jahre alt, glaube ich. Den hatte ich durch die VHS gefunden. Ich habe extra versucht, sehr viele Altersgruppen mit rein zu nehmen, weil ich erwartet hätte, dass es Altersunterschiede gibt. Die gibt es aber anscheinend nicht in meinem Datensatz."
Über das interaktive Instrument des Online-Vortrags erhofft sich Judit Vari noch weitere Rückschlüsse. "Vor allem interessiert mich auch sehr die Meinung der Frauen, weil Frauen sind immer noch oft diejenigen, die sich hauptsächlich um die Kinder kümmern, die also darüber entscheiden, ob Sprachen und Dialekte leben oder sterben. Ich möchte gern erzählen, was ich herausgefunden habe, aber ich freue mich sehr auf die Diskussion, weil mich wirklich interessiert, was die Frauen über meine Ergebnisse so denken."
Der Online-Vortrag mit der Sprachforscherin Judit Vari beim Landfrauenverband beginnt am Donnerstagabend um 19:30 Uhr. Das Angebot ist kostenlos. Den Link dazu gibt es bei Anmeldung unter info@lfv.be.
Stephan Pesch