Das hatte es bei noch keiner Weltausstellung gegeben: Ein kurzer Knopfdruck genügte, um eine gigantische Maschinerie in Gang zu bringen und das Publikum bei der Eröffnungsfeier in Erstaunen zu versetzen. "Das gesamte Ausstellungsgelände war elektrifiziert, bzw. elektrisch beleuchtet", erklärt Ursula Lehmkuhl, Professorin für Internationale Geschichte an der Universität Trier.
Um diese Attraktion hatten sich im Vorfeld zwei Amerikaner einen harten Konkurrenzkampf geliefert. Unterlegen war dabei der Verfechter des Gleichstromprinzips Thomas Alva Edison. Den Zuschlag hatte der Unternehmer George Westinghouse erhalten. Er hatte auf Wechselstrom gesetzt, weil sich der ohne größere Spannungsverluste über weite Distanzen schicken lässt.
Mit dieser und anderen Errungenschaften wollten die USA 400 Jahre nach der Landung von Kolumbus beweisen, dass sie sich vollends von der Alten Welt emanzipiert hatten.
"Es ist unsere Hoffnung, dass diese große Ausstellung der Anfang einer neuen Ära eines stabilen, materiellen Fortschritts sein werde, und dass durch die Zusammenkunft der Nationen hier wärmere und stärkere Freundschaft hergestellt und der Weltfriede dauernd gesichert werden möge." Mit diesen Worten hatte Generaldirektor George R. Davis die Weltausstellung von Chicago am späten Vormittag des 1. Mai 1893 eröffnet.
White City
Es sollte die größte Expo werden, die es bis dahin gegeben hatte. Auf einem zweieinhalb Quadratkilometer großen Areal waren dafür am Ufer des Michigansees über zweihundert Gebäude im neoklassizistischen Stil errichtet worden. Die Fassaden in strahlendem Weiß. In der "White City", wie das Ausstellungsgelände genannt wurde, präsentierten sich 70.000 Aussteller aus 46 Nationen. 25.000 kamen alleine aus den USA.
Zwar hatte die junge Nation schon bei der ersten Weltausstellung 1851 in London beweisen können, dass sie im internationalen Industrie-Wettstreit durchaus mithalten konnte, doch in Chicago wollte man neue Maßstäbe setzen. "Die USA waren 1893 zu einer imperialen Macht aufgestiegen. Sie waren Mit-Player in der Großmachtpolitik. Es ist die Zeit des amerikanischen Turbokapitalismus, wo sich die großen Unternehmen etablieren, und damit zusammenhängend auch eine Zeit der Erfindungen", erklärt Prof. Lehmkuhl.
Technische Sensationen
Der Elektrotechnik-Pionier Thomas Alva Edison stellte einen neuentwickelten Filmprojektor vor und einen Phonographen, der ganze Opern abspielen konnte. Das US-Telefonunternehmen Bell überraschte mit Langstreckenverbindungen nach New York und Boston. Die erste Spülmaschine, eine voll-elektrische Küche, ein rollender Fußsteig und eine Hochbahn mit Elektro-Antrieb gehörten ebenfalls zu den Sensationen von Chicago.
"All diese Ausstellungsgegenstände sind in öffentlichen Wettbewerben getestet worden und am Ende gab es Medaillen. Und da haben die USA sehr, sehr gut abgeschnitten", weiß Prof. Lehmkuhl.
Doch nicht nur die neuen technischen Erfindungen waren es, die innerhalb von sechs Monaten 26 Millionen Besucher zur Weltausstellung nach Chicago lockten. Auch der vorgelagerte Vergnügungspark mit Erlebnisgastronomie, Zirkusvorführungen, Kirmesbuden und einer künstlichen Eisfläche für Schlittschuhläufer wurde zum Publikumsmagneten.
Die größte Attraktion aber war ein 80 Meter hohes Riesenrad, bestückt mit 36 Gondeln so groß wie Pferdewagen. "Das war eine riesige Konstruktion, die es erlaubte, über das gesamte Gelände zu schauen. Es war schon Vergnügung, aber auch mit dem Ziel einer visuellen Strategie: nämlich dass die Zuschauer von oben sehen konnten, was zivilisatorischer Fortschritt bedeutet", so Prof. Lehmkuhl.
Alfried Schmitz