Es ist Gipfel Nummer 9. Zum neunten Mal kommen die EU-Staats- und Regierungschefs zusammen, um über die Flüchtlingskrise zu beraten. Auf dem Tisch liegt der Deal mit der Türkei, dessen Grundprinzipien schon vor zehn Tagen ausgehandelt worden waren.
Grob zusammengefasst steht da zunächst die "Eins-zu-Eins-Formel" im Mittelpunkt. Demnach würde die EU tatsächlich Flüchtlinge aus Griechenland in die Türkei zurückschicken können. Im Gegenzug erklärt sich die EU dann aber bereit, ebenso viele Migranten auf legalem Weg aus der Türkei in die EU einreisen zu lassen.
Klingt vielleicht zunächst etwas paradox. Eine solche Regelung hätte aber zur Folge, dass die illegale Einreise in die EU und im Besonderen nach Griechenland aufhören würde: Wenn klar ist, dass man ohnehin systematisch zurückgeschickt wird, dann läuft das Geschäftsmodell der Menschenschmuggler ins Leere.
Nur, hier gibt es schon die ersten Hürden - und die sind vor allem rechtlicher Art: Ist eine systematische Ausweisung von Flüchtlingen in die Türkei überhaupt mit dem Asylrecht und internationalen Verträgen wie der Genfer Konvention zu vereinbaren?
Ausweisung von Flüchtlingen mit Asylrecht und Genfer Konvention vereinbar?
Einige, wie der Luxemburgische Premier Xavier Bettel, sind nach wie vor skeptisch. Er wolle jedenfalls ausschließen, dass ein Gericht den Deal schon kippt, bevor die Tinte unter dem Vertrag trocken ist. Allein aus diesem Grund sei es gut gewesen, nochmal drüber zu schlafen, sagte die deutsche Bundeskanzelerion Angela Merkel. Der niederländische Premier Marc Rutte, dessen Land ja derzeit den Ratsvorsitz innehat, gibt sich aber zuversichtlich: Auch mithilfe der EU-Kommission habe man es geschafft, den Deal rechtlich wasserdicht zu machen.
Wenn diese juristischen Fragen geklärt sind, kommt aber schon der nächste Streitpunkt: Dann müssen ja in Griechenland große Abschiebelager entstehen. Der österreichische Ministerpräsident Werner Faymann hat damit kein Problem.
Ungarn hält eine Einigung mit der Türkei zur Lösung der Flüchtlingskrise nicht nötig. Die ungarische Regierung erklärte im Vorfeld des EU-Flüchtlingsgipfels, dass sich die Sperrung der Balkan-Route als effizient erwiesen habe. Nun gelte es vor allem, Griechenland zu helfen, mit den Flüchtlingen fertig zu werden. Nicht ein Abkommen zwischen EU und Türkei, sondern der Grenzschutz halte die Migranten auf, sagte Ungarns Kanzleiminister Lazar.
Gleich wie es kommt, müsse Griechenland aber geholfen werden, sind sich alle einig; schon allein wegen der Lage im Norden des Landes, in Idomeni, wo Tausende Flüchtlinge an der inzwischen geschlossenen Balkanroute gestrandet sind.
Also: Illegale sollen in Zukunft abgeschoben werden, im Gegenzug kommen dann legale Flüchtlinge nach Europa - und die müssen dann verteilt werden. Da gibt es aber nach wie vor eine Reihe von Ländern, die mit beiden Füßen auf der Bremse stehen, die keine Flüchtlinge aufnehmen wollen.
Michel: "Belgien bereit, seine Verantwortung zu übernehmen"
Belgien ist bereit, seine Verantwortung zu übernehmen, sagte Premier Charles Michel. Allerdings werde man den zweiten Schritt nicht vor dem ersten tun. Erst müsse sich zeigen, ob der Deal wirklich funktioniert, ob alle Beteiligten ihren Engagements auch nachkommen, insbesondere die türkische Seite. Denn apropos Türkei: viele Staats- und Regierungschefs machten keinen Hehl daraus, dass ihnen ein Abkommen mit dieser Türkei des Jahres 2016 Bauschmerzen bereitet.
"Wir werden unsere Werte nicht zum Rabattpreis verscheuern", verspricht Premier Michel. "Wir werden Themen wie Pressefreiheit oder Menschenrechte nochmal ganz klar zur Sprache bringen."
Das ändert nichts daran, dass Ankara einen hohen Preis verlangt: zusätzliche drei Milliarden Euro Finanzhilfe für die Versorgung der Flüchtlinge, beschleunigte Beitrittsverhandlungen, oder auch Visaerleichterungen. Stellvertretend für viele machte der französische Präsident François Hollande klar, dass man vielleicht in dieser Frage schneller vorgehen könne, dass die Türkei dafür aber immer noch alle Bedingungen erfüllen müsse - und das sind insgesamt 72.
Also: es gibt noch "verdammt" viele Hürden, um mal ein Wort der deutschen Kanzelerin zu gebrauchen. Ob der Deal am Freitag wie geplant unterzeichnet werden kann, ist mehr als offen. Premier Michel sagt ganz klar: "Mir ist lieber kein Abkommen, als ein schlechtes."
Roger Pint - Bild: Denis Closon/Pool/BELGA