Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn hat die "klassischen" Parteien in Europa davor gewarnt, aus wahltaktischen Gründen einen Anti-EU-Kurs einzuschlagen. Die "große Gefahr eines Zerbrechens der Europäischen Union" liege darin, dass sich bei diesen Parteien die Ansicht breitmache, "dass man eigentlich bessere Chancen hat, nationale Wahlen zu gewinnen, wenn man sich aufstellt gegen Europa, gegen Brüssel", sagte der Sozialdemokrat am Freitag der Deutschen Presse-Agentur in Luxemburg. Asselborn sieht die Gefahr eines wahltaktischen Abrückens von Europa bei allen traditionellen Parteien "egal welcher Couleur: Linke, Rechte, Liberale".
Scharfe Kritik übte der dienstälteste Außenminister der EU an Alleingängen in der Flüchtlingskrise und der Abriegelung der mazedonischen Grenze zu Griechenland. Es sei falsch, Griechenland "praktisch abschneiden" zu wollen und sich auf einen Stacheldraht zu konzentrieren. "Wir zeigen da wieder ein Bild als Europäische Union, das menschlich unwürdig ist an der griechisch-mazedonischen Grenze."
Verschiedene Länder hätten "unheimlich viel Potenzial und Energie" für die Abriegelung der Grenze aufgewendet: "Wenn wir stattdessen Frontex in Griechenland gestärkt hätten, dann wäre das sehr viel produktiver, europäischer und effizienter gewesen." Griechenland dürfe "kein Blinddarm" der EU werden: "Das würde nicht nur diplomatische und politische Auseinandersetzungen mit sich bringen, sondern das kann darüber hinaus ein sehr großes Konfliktpotenzial haben", warnte Asselborn.
Wertegemeinschaft Europas teilweise nicht mehr verstanden
Der Streit über die Flüchtlingspolitik zeige, dass die Wertegemeinschaft Europas teilweise nicht mehr verstanden werde. Wenn das "gemeinsame Vorgehen, das wir auch Solidarität nennen können", in einer Frage verlorengehe, "wo es nicht um Finanzen oder Industrie, sondern wo es wirklich um Menschen geht, dann ist das schon ein Kernproblem der EU".
Die EU habe seit dem Amtsantritt des rechts-konservativen ungarischen Regierungschefs Viktor Orban das Pochen auf Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit "banalisiert". "Das ist etwas, was nicht nur ein Kernproblem ist, sondern das kann etwas sein, was das Gemeinschaftliche auseinandersprengt."
Das von Orban angekündigte Referendum über die vom EU-Gipfel beschlossene Verteilung von Flüchtlingen ist laut Asselborn rechtlich bedeutungslos: "Auch wenn die Ungarn jetzt zu 99,9 Prozent Ja sagen - was ich auch Orban zutraue, dass er das so organisiert - dann ist noch immer nichts geschehen. Dann ist das noch immer europäisches Recht. Darüber entscheidet der Europäische Gerichtshof."
dpa/rkr/sr - Bild: John Thys/AFP