Anhänger der Regimegegner in der umkämpften Metropole Aleppo laufen Gefahr, ihre wichtigste Nachschubroute zu verlieren. Syriens Armee rückte mit Hilfe russischer Luftangriffe nördlich der Stadt weiter vor, wie die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte am Dienstag meldete. Damit wächst der Druck auf die Unterhändler der Opposition bei den Friedensgesprächen in Genf.
Die frühere Handelsmetropole ist neben Damaskus die wichtigste Stadt Syriens. Während das Regime den Westen Aleppos kontrolliert, beherrschen Rebellengruppen den Osten und den Süden. Die umkämpfte Verbindungsstraße Richtung türkische Grenze nördlich der Stadt ist die wichtigste Versorgungsroute. Aktivisten befürchten Versorgungsengpässe, sollte die Armee die Verbindung unterbrechen. Es wäre zudem ein wichtiger symbolischer Erfolg für das Regime.
Das Hohe Verhandlungskomitee (HNC) der Regimegegner verschob in Genf ein für den Nachmittag geplantes zweites Treffen mit UN-Vermittler Staffan de Mistura. Stattdessen diskutierte die Opposition bei einem Dringlichkeitstreffen in Genf über die Eskalation der Gewalt in Aleppo, wie HNC-Sprecherin Farah Atassi sagte.
Die Opposition hatte in den vergangenen Tagen ein Ende der Angriffe auf Zivilisten und eine Verbesserung der humanitären Lage gefordert. Ansonsten will sie wieder aus Genf abreisen. HNC-Sprecher Riad Naasan Agha warf dem Regime vor, die Gewalt während der Gespräche eskalieren zu lassen. Die Angriffe in Aleppo gefährdeten den Prozess.
Über 270 Angriffe
Zusammen mit verbündeten Kämpfern nahm Syriens Armee am Dienstag das Dorf Hardatnin nördlich von Aleppo ein, berichteten staatliche syrische Medien sowie die Menschenrechtsbeobachter. Regimesoldaten kontrollierten nun Gebiete nahe der wichtigen Verbindungsroute. Die Luftschläge Russlands hatten in den vergangenen Monaten an mehreren Fronten Syriens zu Geländegewinnen der Regierungsanhänger geführt. Den Menschenrechtsbeobachtern zufolge flogen die russische und die syrische Luftwaffe nördlich von Aleppo innerhalb von zwei Tagen mehr als 270 Angriffe.
Es bestehe die Gefahr, dass Aleppos Rebellengebiete komplett von der Außenwelt abgeschnitten werden, warnte der Medienaktivist Adnan Hadad aus der Stadt. In diesem Fall drohten Zehntausende Hungertote. "Wir würden eine neue humanitäre Katastrophe erleben", erklärte er.
UN-Vermittler de Mistura hatte die langerwarteten Genfer Friedensgespräche am Freitag begonnen. Am Anfang spricht der Diplomat mit den Konfliktparteien in getrennten Treffen. Die Verhandlungen sollen den fünfjährigen Bürgerkrieg mit mehr als 250.000 Toten beenden. De Mistura kam am Dienstag in Genf zu einem zweiten, mehr als zweistündigen Treffen mit Regierungsvertretern zusammen.
Bei den bisherigen Gesprächen handele es sich um eine "Vorbereitungsphase" für indirekte Verhandlungen, sagte der Leiter der Regimedelegation, Baschar Dschafaari, danach. Es sei noch nicht einmal bekannt, wer für "die andere Seite" verhandele. Auch ein klares Arbeitsprogramm gebe es nicht. Mit der Opposition hatte sich de Mistura am Montag zu einem ersten formellen Gespräch getroffen.
dpa/rkr/km - Bild: Fabrice Coffrini/AFP