Nach dem überraschend deutlichen Wahlsieg der islamisch-konservativen AKP in der Türkei wird in Ankara mit einer zügigen Regierungsbildung gerechnet. Entgegen allen Vorhersagen der Meinungsforscher konnte die Partei von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan bei der Parlamentswahl am Sonntag einen klaren Sieg einfahren. Mit knapp 50 Prozent eroberte die AKP die bei der Wahl vor fünf Monaten verlorene absolute Mehrheit zurück. Damit wird sie voraussichtlich 316 der 550 Abgeordneten in der Nationalversammlung in Ankara stellen.
Erdogan begrüßte in einer ersten Reaktion das Wahlergebnis. Das Votum sei eine "starke Antwort" auf die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK, hieß es in der von der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu am Montagmorgen verbreiteten Erklärung.
Ministerpräsident und AKP-Chef Ahmet Davutoglu versprach bei seiner Siegesrede im Partei-Hauptquartier in Ankara vor Tausenden Anhängern, an einer neuen Verfassung zu arbeiten. "Reichen wir einander die Hände, um eine neue Verfassung zu schaffen", sagte er in der Nacht zu Montag. Erdogan will per Verfassungsreform ein Präsidialsystem mit sich selber an der Spitze einführen.
Davutoglu kündigte an, die Rechte aller Bürger und die Meinungs- und Glaubensfreiheit zu schützen. "Die Feinde der neuen Türkei haben einmal mehr verloren", sagte er. "Die Wahl vom 1. November war das Referendum für die neue Türkei. Ihr habt gezeigt dass die alte Türkei tief begraben ist und nie wieder zurückkehren wird."
Die prokurdische HDP, die die AKP bei der Wahl im Juni um die absolute Mehrheit gebracht hatte, schaffte diesmal nur knapp die für einen Einzug ins Parlament vorgeschriebene Zehnprozenthürde. Mit voraussichtlich 59 Abgeordneten wird die prokurdische Partei drittstärkste Fraktion in der türkischen Nationalversammlung. Ihr Vorsitzender Selahattin Demirtas kritisierte, wegen der Angriffe und Anschläge auf die HDP habe die Partei keinen Wahlkampf führen können.
Zweistärkste Kraft im Parlament wurde die Mitte-Links-Partei CHP, die ihren Stimmanteil nur leicht auf knapp 26 Prozent verbessern konnte. Die größten Verluste erlitt die ultrarechten MHP, die nur noch auf rund 12 Prozent kam. Die AKP hatte die ihr ideologisch oft nahestehenden MHP-Wähler massiv umworben.
Die Türkei gilt als Schlüsselland bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise, weshalb die Wahl auch in Berlin und Brüssel aufmerksam verfolgt wurde. Die EU setzt auf ein gemeinsames Handeln mit der türkischen Regierung, um den Zustrom von Flüchtlingen vor allem aus dem Bürgerkriegsland Syrien einzudämmen.
EU lobt in erster Reaktion hohe Wahlbeteiligung in der Türkei
EU-Vertreter haben sich in einer ersten Reaktion erfreut über den Verlauf der Parlamentswahl in der Türkei gezeigt. Die hohe Wahlbeteiligung untermauere, dass das türkische Volk die demokratischen Prozesse unterstütze, teilten die Außenbeauftragte Federica Mogherini und der für Nachbarschaftspolitik zuständige EU-Kommissar Johannes Hahn am frühen Montag in Brüssel mit. Man warte nun auf die ersten Ergebnisse der Wahlbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE).
Die EU-Vertreter stellten der künftigen Regierung eine enge Kooperation in Aussicht. "Die EU wird mit der zukünftigen Regierung zusammenarbeiten, um die Partnerschaft zwischen der EU und der Türkei weiter zu stärken und die Kooperation in allen Bereichen zum Wohle der Bürger auszubauen", kommentierten Hahn und Mogherini.
Wahlsieg von Erdogans AKP befeuert türkische Märkte
Die Börse in Istanbul hat mit einem Kurssprung auf den Wahlsieg der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan reagiert. Zum Handelsstart legten die Kurse am Montag um 5,4 Prozent zu. Auch die türkische Lira verzeichnete deutliche Gewinne. Die Währung kostete am Morgen rund 0,329 Euro und damit 1,8 Cent mehr als vor den Wahlen am Sonntag.
In der Türkei wird nun mit einer zügigen Regierungsbildung gerechnet. Das wurde an den Märkten als Zeichen der Stabilität gewertet.
Experten rechnen aber mit einem eher kurzfristigen Effekt. "Die Rückkehr zur Einparteienregierung könnte in nächster Zeit eine deutliche Kursrally an den Märkten auslösen, weil so in Kürze ein funktionsfähiger Wirtschaftsplan und Staatshaushalt vorgelegt werden könnten", schreibt Tathagata Ghose, Analyst bei der Commerzbank. Mittelfristig dürften jedoch wieder Sorgen um den allgemeinen Mangel an rechtsstaatlichen Kontrollmechanismen in der Türkei aufkommen.
dpa/sh - Bild: Adem Altan (afp)