Russische Luftangriffe und eine Bodenoffensive des syrischen Regimes haben im Norden des Landes eine neue Massenflucht ausgelöst. Etwa 35.000 Menschen hätten ihre Heimatorte südlich der Stadt Aleppo verlassen, sagte eine Sprecherin des UN-Büros zur Koordinierung humanitärer Hilfe (OCHA) am Dienstag. Regimegegner berichteten zugleich von dramatischen Zuständen.
"Die Menschen schlafen mit ihren Kindern seit zwei Tagen unter freiem Himmel", sagte der Aktivist Firas al-Halabi. Ihnen fehle das Nötigste. "Sie haben ihre Häuser nur mit ihren Kleidern am Leib verlassen." Saidun al-Soabi, Leiter einer oppositionellen Hilfsorganisation, bezifferte die Zahl der Flüchtlinge sogar auf 70.000 bis 100.000. "Das ist eine humanitäre Katastrophe", sagte er.
Die syrische Armee und ihre Verbündeten hatten vor einigen Tagen mit russischer Luftunterstützung einen Großangriff auf Rebellengebiete südlich von Aleppo begonnen. Laut OCHA flohen die Menschen aus der Region um die Orte Al-Hadir und Al-Serbeh. Die Flüchtlinge bräuchten dringend Lebensmittel und Notunterkünfte, sagte die Sprecherin des UN-Büros. Die Hilfsorganisation seien sehr besorgt, da die Temperaturen sänken und es vor allem nachts immer kälter werde.
Oppositionsmedien berichteten zugleich, Hubschrauber des Regimes hätten über Vierteln im Süden Aleppos Flugblätter abgeworfen, in denen vor weiteren heftigen Luftangriffen gewarnt werde. Darin würden die Menschen aufgerufen, die Stadt zu verlassen, meldete die Nachrichtenseite Orient News. Die Rebellen kontrollieren den Osten und Süden Aleppos, Regimeanhänger den Westen.
Bei russischen Luftangriffen auf Rebellen starben im Nordwesten Syriens mindestens 45 Menschen. Die Opfer in der Provinz Latakia seien Kämpfer und Zivilisten, meldete die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte. Dutzende wurden demnach verletzt. Der oppositionellen Nachrichtenseite Syria Direct zufolge gehörten die meisten Toten zur gemäßigten Freien Syrischen Armee (FSA).
Russland hatte Ende Januar mit Luftangriffen in Syrien begonnen und erklärt, damit die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) bekämpfen zu wollen. Die meisten Bombardierungen richten sich laut Aktivisten jedoch gegen Rebellen, die mit dem IS verfeindet sind. Die russische Luftwaffe unterstützt damit mehrere Bodenoffensiven des Regimes von Präsident Baschar al-Assad.
Der vor mehr als zwei Jahren in Syrien verschleppte italienische Jesuitenpater Paolo Dall'Oglio ist unterdessen laut Aktivisten noch am Leben. Der Geistliche befinde sich in der Gewalt des IS, meldeten die Menschenrechtsbeobachter. Sie stützen sich auf die Aussage eines abtrünnigen IS-Anhängers. Dieser habe erklärt, den Pater persönlich in einem Gefängnis westlich der Stadt Al-Tabka gesehen zu haben.
Dall'Oglio war im Juli 2013 in der Provinz Al-Rakka entführt worden, als er auf dem Weg zu Verhandlungen mit dem IS war. Er wollte zwischen radikalen Rebellengruppen vermitteln.
dpa/rkr - Bild: Armend Nimani (afp)