Nach der Katastrophe in einem Gefahrgutlager der nordchinesischen Stadt Tianjin mit inzwischen 85 Toten hat es neue Explosionen gegeben. Aus Angst vor giftigen Gasen riefen die Behörden zur Evakuierung des Gebiets in einem Umkreis von drei Kilometern auf. Unter den Toten, deren Zahl bis Samstag weiter stieg, sind auch 21 Feuerwehrleute. 13 Retter und eine unbekannte Zahl von Hafenarbeitern wurden am Samstag noch vermisst.
Offenbar schwelte noch Feuer in dem riesigen Trümmergebiet, so dass sich am Samstag neue Brände entzündeten und Explosionen ereigneten. Reporter hätten sieben oder acht Detonationen gehört, berichtete die Nachrichtenagentur China News Service. Starker Rauch stieg an mehreren Stellen über dem Unglücksgebiet auf.
Auf dem Hafengelände im Binhai Distrikt der Millionenmetropole waren in der Nacht zum Donnerstag tonnenweise Chemikalien explodiert, dies hatte schwere Zerstörungen angerichtet. In einem kilometerweiten Umkreis gibt es Schäden. Wie die Nachrichtenagentur Xinhua berichtete, lagen noch 721 Verletzte in Krankenhäusern. Darunter seien 58 Schwerverletzte, davon 33 in einem ernsten Zustand.
Bei der Evakuierung des umliegenden Gebiets gab es Verwirrung, wie Augenzeugen sagten. Auch eine vorübergehende Unterkunft in einer Grundschule für Menschen, die ihre Wohnungen verloren haben, wurde geräumt. Die Menschen wurden aufgefordert, Mundschutz zu tragen.
Aufgebrachte Angehörige von vermissten Feuerwehrleuten stürmten eine Pressekonferenz und wurden von Sicherheitskräften zurückgedrängt. Nie zuvor in der Geschichte der Volksrepublik sind bei einem Unglück so viele Feuerwehrleute ums Leben gekommen wie in Tianjin.
"Als die Explosion passierte, waren Feuerwehrleute dabei, den Brand zu löschen, und Nachschub war gerade eingetroffen. Sie wurden völlig überrascht, so dass die Opferzahl hoch ist", schilderte Zhou Tian, Chef der Feuerwehr von Tianjin.
Die Feuerwehrleute waren zu dem Einsatz in dem Gefahrgutlager gerufen worden, ohne zu wissen, was dort brannte oder gelagert war. Auch setzten sie Wasser ein, was bei Chemikalien wie dem unter anderem dort gelagerten hochgiftigen Natriumcyanid explosive Reaktionen auslösen kann. Die hohe Opferzahl löste Diskussionen aus, ob Feuerwehrleute für solche Situationen ausreichend ausgebildet sind.
Die Bergungsarbeiten kamen angesichts der anhaltende Gefahr durch die Chemikalien nur langsam voran. Mehr als 1.000 Feuerwehrleute waren im Einsatz. Ein Team von Militärspezialisten im Umgang mit gefährlichen Chemikalien rückte am Samstag ins Trümmergebiet vor, um nach Überlebenden zu suchen, wie Xinhua berichtete.
50 Meter vom Zentrum der Explosionen entfernt soll Berichten zufolge ein Mann lebend gefunden worden sein. Spezialisten des Militärs hätten den mittelalten verletzten Mann geborgen, berichtete Xinhua.
Als Reaktion auf die Katastrophe ordnete die Regierung landesweit Inspektionen bei Unternehmen an, die mit gefährlichen Chemikalien und Explosivstoffen umgehen. Die Lehren aus dem Unglück seien "äußerst tiefgreifend", fand die Kommission für Arbeitssicherheit. Es "enthüllt einen Mangel an Sicherheitsbewusstsein bei Unternehmen und eine lockere Umsetzung von Sicherheitsvorschriften", zitierte Xinhua.
Andere Probleme seien eine "unangemessene Handhabung von Gefahrgütern an Häfen, uneinheitliche Praktiken unter Arbeitern, schwache Reaktionen von Rettungskräften auf Zwischenfälle und lasche Aufsicht durch Behörden", zitierte die Staatsagentur. Behörden müssten den Umgang mit Gefahrgütern strenger kontrollieren. Das Chemikalienlager in Tianjin lag nur 500 bis 600 Meter von großen Wohnsiedlungen entfernt.
Das Unglück ist ein schwerer Schlag für das Wirtschaftszentrum Tianjin, das ein wichtiger Umschlagplatz ist. Der Binhai Distrikt trägt zu 55 Prozent zur Wirtschaftsleistung der gut eine Stunde von Peking entfernt gelegenen Zehn-Millionen-Metropole bei.
Tausende Autos, darunter Volkswagen und Renault, wurden zerstört. Die Wolfsburger verlagerten ihre Neuwagen-Transporte nach dem Unglück nach Shanghai und Guangzhou, wie Xinhua berichtete. 40 Prozent aller importierten Autos kamen über den Hafen von Tianjin nach China.
dpa/rkr - Bild: Handout China/AFP