Das angespannte Verhältnis zur Atommacht Russland, die Flüchtlingskrise und islamistischer Terror: Vor dem Hintergrund dieser Gefahren sucht die Europäische Union nach einer neuen außen- und sicherheitspolitischen Strategie.
Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini soll nach einem Beschluss des EU-Gipfels binnen eines Jahres ein entsprechendes Konzept vorlegen. Es sei zudem entschieden worden, die europäische Rüstungsindustrie mit EU-Geldern zu stärken, sagte EU-Ratspräsident Donald Tusk am Freitag. "Die Europäer müssen in ihre eigene Verteidigung investieren, um mit einem dramatisch veränderten Sicherheitsumfeld umgehen zu können."
Bundeskanzlerin Angela Merkel zog eine direkte Verbindung zu den blutigen Anschlägen am gleichen Tag in Frankreich und Tunesien. "Die Meldungen machen uns allen noch einmal klar, vor welchen großen Herausforderungen wir stehen, wenn es um den Kampf gegen Terrorismus und islamistischen Terrorismus geht."
Merkel stellte auch einen Zusammenhang zur Flüchtlingskrise her. "Wir wissen auch, dass wir gerade mit Blick auf die Migrationspolitik aufpassen müssen, dass nicht islamistische Kämpfer eindringen in die EU", sagte sie. "Deshalb ist die Registrierung und die Einhaltung der Standards bei der Aufnahme von Migranten von äußerster Wichtigkeit."
Um die Migrationspolitik hatte es beim Gipfel bereits in der Nacht zum Freitag eine hitzige Diskussion gegeben. Nach heftigem Streit einigten sich die Staats- und Regierungschefs dabei auf die freiwillige Verteilung von insgesamt 60.000 Flüchtlingen. Italien scheiterte mit der Forderung nach einer festen Quote für die Verteilung auf EU-Länder, die auch die EU-Kommission vorgeschlagen hatte. Dagegen sperrten sich vor allem osteuropäische und baltische Staaten, die selten das Ziel von Migranten sind. Für Ungarn und Bulgarien, wo bereits viele Flüchtlinge ankommen, sollen Ausnahmen gelten.
Die Zahl von 60.000 setzt sich zusammen aus 40.000 Flüchtlingen, die sich in Italien und Griechenland befinden und von dort verteilt werden, sowie 20.000 weiteren Menschen aus Flüchtlingslagern außerhalb Europas, vor allem rund um Syrien. Deutschland wird nach Angaben des Bundesinnenministeriums etwa 8.000 von 40.000 Migranten aufnehmen. Wie viele Menschen aus der zweiten Gruppe nach Deutschland kommen sollen, blieb zunächst offen.
Bei den Verhandlungen kam es zu einem heftigen Schlagabtausch. Italiens Premier Matteo Renzi warf den Europäern zwischenzeitlich mangelnde Solidarität vor. Renzi sagte laut Diplomaten: "Wenn Ihr mit der Zahl von 40.000 nicht einverstanden seid, verdient Ihr es nicht, Europa genannt zu werden. (...) Wenn das Eure Vorstellung von Europa ist, dann könnt Ihr es lassen." Am nächsten Morgen gab er sich zufrieden.
Andere Staats- und Regierungschefs äußerten sich enttäuscht über das Scheitern einer Flüchtlingsquote. Der belgische Premier Charles Michel sagte: "Dieses Treffen ist praktisch umsonst." Der Streit zwischen den Gipfelteilnehmern soll heftig gewesen sein. "Wir haben ein für Europa unwürdiges Spektakel erlebt", so Michel. Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann kritisierte: "Das kann keine Lösung sein bei diesen großen Flüchtlingsbewegungen."
Am Rande des Gipfels sprachen die Staats- und Regierungschefs auch über die Reformforderungen des britischen Premierministers David Cameron. Diese betreffen zum Beispiel die Freizügigkeit in Europa. "Wir müssen die sozialstaatlichen Anreize angehen, die so viele Menschen aus der ganzen EU zur Arbeitssuche nach Großbritannien locken", sagte er. Man habe vereinbart, beim Gipfel im Dezember wieder über seine Reformforderungen zu sprechen.
Cameron will die Briten bis Ende 2017 darüber abstimmen lassen, ob das Land in der EU bleiben soll. Er selbst will Großbritannien in der EU halten. In seiner konservativen Partei gibt es aber einen starken EU-kritischen Flügel.
dpa/mh - Illustrationsbild: Sabah Arar (afp)