Beim schwersten Terroranschlag in Frankreich seit einem halben Jahrhundert ist am Mittwoch praktisch die gesamte Führungsmannschaft des islamkritischen Pariser Satiremagazins "Charlie Hebdo" ermordet worden. Die Staatsanwaltschaft sprach von zwölf Toten, darunter sind auch zwei zum Schutz des Magazins abgestellte Polizisten. Bei ihrer Flucht in einem Auto gaben die Täter weitere Schüsse ab; eine Passantin wurde verletzt.
Präsident François Hollande eilte sofort zum Tatort und rief die Nation zur Einheit auf. Er sprach von "Barbarei" und einen "Schock für Frankreich". Nach einer Krisensitzung des Kabinetts erklärte die Regierung, es seien drei Täter am Werk gewesen.
Zeugen zufolge drangen zwei schwarz vermummte Männer mit Kalaschnikows in die Redaktionsräume ein und schossen kaltblütig um sich. Die Terroristen riefen "Allah ist groß" und "Wir haben den Propheten gerächt". "Sie sprachen perfekt Französisch", sagte die Zeichnerin Corinne Rey, die den Anschlag überlebte, der Zeitung "l'Humanité". Dabei hätten sie behauptet, zur Terrororganisation Al-Kaida zu gehören. Der Überfall habe etwa fünf Minuten gedauert, sie habe unter einem Schreibtisch Deckung gesucht.
Von einem Dach aufgenommene Videos
Im Internet kursieren von einem Dach aufgenommene Videos von der Straße vor dem Redaktionsgebäude im Pariser Osten. Darauf ist zu sehen, wie einer der vermummten Täter mit einem Schnellfeuergewehr auf einen bereits auf dem Bürgersteig liegenden Polizisten zugeht und ihn ermordet. Auf Fernsehbildern war ein Polizeiwagen mit Einschusslöchern zu sehen.
Unter den Toten sind der Mohammed-Karikaturist und Redaktionsleiter Charb alias Stéphane Charbonnier und sein Leibwächter. Charb tauchte im Frühjahr 2013 im Internetmagazin "Inspire" der Al-Kaida auf der Arabischen Halbinsel (AQAP) auf einer "Fahndungsliste" auf. Die AQAP verübt vor allem im Jemen Anschläge. Neben Charb sind acht weitere Personen zu sehen, darunter der dänische Mohammed-Karikaturist Kurt Westergaard und der niederländische Rechtspopulist Geert Wilders.
Hollandes Sozialistische Partei rief zu einem "Marsch der Republikaner" auf; Mediengewerkschaften mobilisierten für eine Schweigekundgebung. Der Rat der Muslime in Frankreich nannte den Terroranschlag "einen "Angriff auf die Demokratie und die Pressefreiheit". Als Reaktion auf den Anschlag verschärften Länder wie Italien die Sicherheitsvorkehrungen für Medien. I
Der Anschlag erfolgte am Tag des Erscheinens des islamkritischen Romans "Soumission" (Unterwerfung) von Michel Houellebecq in Frankreich. "Charlie Hebdo" hatte aus diesem Anlass Houellebecq am Mittwoch auf sein Titelblatt gehoben und sich über den Schriftsteller lustig gemacht. Der Roman beschreibt das Leben in Frankreich unter einem muslimischen Präsidenten.
Das Magazin war mehrfach wegen Mohammed-Karikaturen in der Kritik. Nach der Veröffentlichung einer "Scharia"-Sonderausgabe mit einem "Chefredakteur Mohammed" waren bereits im November 2011 die Redaktionsräume in Flammen aufgegangen. Die Internetseite war zudem mehrfach von Hackern angegriffen worden. Das Satiremagazin erscheint seit 1992.
Frankreichs Muslime verurteilen Terroranschlag
Der Rat der Muslime in Frankreich hat den Terroranschlag von Paris als "barbarisch" verurteilt. Die Tat sei ein "Angriff auf die Demokratie und die Pressefreiheit", schrieb die Organisation in einer Erklärung "im Namen der Muslime in Frankreich".
Die Zahl der Muslime in Frankreich ist nicht genau bekannt. Schätzungen gehen von bis zu fünf Millionen Menschen aus.
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belga/dlf/dpa/est - Bild: Dominique Faget (afp)
Dies ist ein Terroranschlag auf 12 Menschenleben. Und es ist ein Terroranschlag auf die Presse- und Meinungsfreiheit, den man sich in Westeuropa seit sieben Jahrzehnten so nicht mehr vorstellen konnte.
Der französische Staat sollte nun alles daran setzen, diesen Anschlag und seine (ideologischen) Hintergründe aufzuklären und die Pressefreiheit sicherzustellen. Es darf nicht sein, dass Redakteure mitten in Europa um Leib und Leben fürchten müssen. Die Pressefreiheit ist Kernelement der Demokratie. Eine Demokratie ohne Pressefreiheit gibt es nicht.
Dabei lernen wir momentan, dass es nicht nur der Staat ist, der die Meinungsfreiheit behindern kann. Dies wirft Fragen auf, die wir offen diskutieren sollten - insbesondere die Frage: In wie weit ist der politische Islam eine Gefahr für unsere westlichen Demokratien?
Werter Herr Elnakhal,
Dieses schreckliche Attentat beweisst, dass die Freiheiten, wie die Meinungsfreiheit, stets bedroht sind, und ständig verteidigt werden müssen. Diese Freiheiten sind nicht selbstverständlich; Sie sind das Ergebnis eines oft gewalttätigen Prozesses.
Das sollte einem bewusst sein auch in der Karnevalsaison, wo manches private oder politische Geschehnis thematisiert wird. Es ist eine nicht zu unterschätzende Errungenschaft, die tun zu dürfen ohne hinter Gitter zu kommen.
Einen politischen oder nichtpolitischen Islam gibt es nicht, weil der Koran die Trennung von Staat und Religion nicht kennt. Der Prophet Mohammed war Prediger und Politiker.