Wie in solchen Fällen nicht unüblich, entspricht das Resultat dem "kleinsten gemeinsamen Nenner". Und das fast schon im Wortsinn: Zum ersten Mal in ihrer Geschichte wird die Europäische Union weniger Geld ausgeben dürfen, als in der Vergangenheit. Damit haben sich die Europa-Skeptiker durchgesetzt, nach deren Ansicht auch die EU in diesen Krisenzeiten sparen muss.
Was vielleicht nach "ausgleichender Gerechtigkeit" klingt, ist aber der falsche Weg.
Es ist leicht, die EU zu kritisieren
Die Linken brandmarken "Brüssel" als neoliberal, unsozial, eiskalt, als willigen Helfershelfer des Kapitals und vor allem der Banken. Die Rechten sehen in der EU vor allem eine bürokratische Hydra, ein selbstzufriedenes, gar autistisches administratives Monstrum, ein zentralisierungs- und regulierungswütiges Beamtenkombinat mit Sowjetcharme. Rechts und Links in der Kritik vereint, die Vorwürfe austauschbar... Europa, der ideale Buhmann, für jeden was dabe. EU-bashing als lagerübergreifende Therapie zur Bewältigung der Krisen-Depression.
Die Kritik an der EU ist in Teilen bestimmt berechtigt. Wenn sie nicht ständig zur Karikatur verzerrt würde. In Sachen EU gilt konsequent das Motto "pars pro toto": Ein einzelner unbestrittener Missstand, ein nachvollziehbarer punktueller Vorwurf macht aus der EU gleich in ihrer Gesamtheit einen kollektiven Irrweg.
Der EU-Befürworter wirkt bestenfalls wie ein weltfremder Träumer mit Rauschebart und Jesuslatschen. EU-Fundamentalkritik ist salonfähig. Dass die EU mit ihren offensichtlichen und scheinbaren Unzulänglichkeiten nur das Spiegelbild ihrer Mitglieder ist, dass man dabei oft genug sogar nur seiner eigenen Regierung auf den Leim geht, das vergisst man viel zu häufig. Die EU ist für die Mitgliedstaaten längst zum Vehikel geworden, um ihren Bürgern das aufzubrummen, was man sich selbst nie getraut hätte. Fiskalpakt, Schuldenbremse, Sparzwänge, allerlei mitunter aberwitzig anmutende Normen, selbst das Verbot der Glühbirne: vieles davon hat nicht "Brüssel" erfunden. Die Kommission setzt in den meisten Fällen lediglich die Beschlüsse des Ministerrats durch. Und der Ministerrat, das sind die Regierungen der Mitgliedstaaten. Wenn sich Europa etwa inzwischen buchstäblich kaputtspart, dann muss man den Schuldigen dafür weniger in Brüssel als vielmehr in Berlin suchen.
Doch ist der Ruf mal ruiniert...
Auf dem Rücken der Schießbudenfigur EU kann man sich inzwischen prächtig profilieren. Der britische Premier David Cameron hat daraus eine Kunstform gemacht, wenn auch nur für das Publikum in heimischen Pubs. "Ausgerechnet dieser EU mit all ihren Webfehlern mehr Geld geben, wenn alle Länder sparen müssen? No way!", tönt es aus London, und klingt auch vielerorts auf dem Kontinent ach so logisch und nachvollziehbar.
Und so hat man denn auch auf EU-Ebene das einzig Falsche getan: Man ist dem populistischen, antieuropäischen Sirenengesang erlegen: Der EU-Haushalt wurde beschnitten. Gespart werden soll unter anderem ausgerechnet da, wo die EU Akzente hätte setzen können: im Bereich Forschung und Entwicklung.
Weniger Geld für Europa, das heißt zwangsläufig: weniger Europa. Hier wird das Ende der europäischen Solidargemeinschaft eingeläutet, nach dem Motto: "Weniger deutsches, britisches, niederländisches oder schwedisches Geld für vermeintlich faule Südeuropäer". In Belgien und jetzt auch in Deutschland kennt man dieses Phänomen: Die Reichen – ob nun Flamen oder Bayern - wollen die Armen nicht mehr mit durchziehen. Jeder ist sich selbst der nächste.
Dabei haben doch die Lütticher Stahlarbeiter von ArcelorMittal eigentlich den Weg gewiesen. Mit ihrer Protestaktion vor dem EU-Parlament in Straßburg haben sie gezeigt, auf welcher Ebene das Problem tatsächlich angesiedelt ist und damit im Umkehrschluss auch am ehesten die Lösung. Gerade die Belgier wissen, wie einsam es in einer globalisierten Welt plötzlich werden kann. Opel-Antwerpen, Ford-Genk, ArcelorMittal-Lüttich: Wären diese Fabriken nicht gerade im kleinen Belgien angesiedelt gewesen, dann ist zumindest nicht ausgeschlossen, dass sie noch produzieren würden.
Ausdruck des Cowboy-Kapitalismus
Klar: Im Grunde sind diese Sozial-Dramen nur Ausdruck des immer zynischer agierenden Cowboy-Kapitalismus. Nur: selbst wenn man etwa die Wallonie –wie es so manchem vorzuschweben scheint- faktisch in eine Sowjetrepublik verwandeln würde: die Welt ändert man damit nicht.
Das kann, wenn überhaupt, nur eine geeinte EU. Nur ein geschlossenes Europa kann im globalen Wettbewerb bestehen. Statt, dass jeder sein eignes Süppchen kocht, bedarf es vielmehr einer wirklich gemeinsamen europäischen Industriepolitik, braucht Europa wirklich breit gedachte Wachstumsimpulse. So paradox, gar ketzerisch es klingen mag: die Antwort auf die Krise hätte lauten müssen: "Mehr Europa", und damit verbunden: "Mehr Geld für Europa".
Wer jetzt empört aufschreit, der sollte eins wissen: Im Durchschnitt stecken die Staaten nicht sehr viel mehr Geld in den EU-Haushalt, als so mancher Musterschüler für Entwicklungszusammenarbeit ausgibt: Eine Billion Euro für die EU, das klingt enorm, ist es vielleicht auch. Die Summe entspricht aber nur einem Prozent des europäischen Bruttoinlandsproduktes. Alles ist relativ...
"Alle müssen sparen, dann eben auch die EU"
Hinter diesem vermeintlichen Ausdruck des angeblich gesunden Menschenverstandes steckt eine ganz klar ideologisch motivierte Marschrichtung. Die Briten und andere wollen die EU zu einer reinen Freihandelszone zurückstutzen. Indem man den Europäischen Haushalt dermaßen zusammenstreicht, dass sich die EU im Wesentlichen auf einen Agrar- und einige Strukturbeihilfefonds reduzieren lässt, verlässt man de facto den Weg der europäischen Integration. Die EU hat zudem –politisch und jetzt auch finanziell- ganz einfach nicht die Mittel, sich als oberster Krisenbekämpfer hervor zu tun. Man gibt der EU schlichtweg nicht die Möglichkeit, einmal positiv in Erscheinung zu treten, ihr Image und damit ihre Akzeptanz aufzupolieren.
Die EU ist auch deswegen so unpopulär, weil es im Sinne der Mitgliedstaaten ist. Ist doch praktisch: Man bleibt weiter wie die Glucke auf seinen nationalen Zuständigkeiten sitzen. Wenn es ungemütlich wird, wenn man an seine Grenzen stößt, dann verweist man reflexartig auf Brüssel. Die EU wird denn auch von den Regierungen bewusst so unfertig und undemokratisch belassen, wie sie ist. Insofern ist es eigentlich nur konsequent, dass man ihr jetzt auch noch die Mittel kürzt.
Doch ist damit auch der Zeitpunkt gekommen, die Gretchenfrage zu stellen: Welche EU wollen wir eigentlich? Mehr Europa oder weniger Europa? Eine EU, so wie sie jetzt ist, in der ewigen Sinnkrise, hin- und hergerissen, nichts Halbes und nichts Ganzes –da sind sich wahrscheinlich Befürworter wie Skeptiker einig, eine solche EU will jedenfalls niemand...
ein sehr guter beitrag, doch es stellt sich nicht die frage, mehr oder weniger europa. die meisten menschen haben das gefühl, das sich die EU in sachen einmischt, wo sie nichts zu suchen hat, von der krümmung einer gurke oder banane bis hin zur lautstärke eines rasenmähers und natura 2000, etc...
die EU und das vereinte europa sind 2 verschiedene dinge für die europäer. es geht darum, wie viel verwaltung wir überhaupt brauchen, und die EU-bürokratie nimmt schlicht und einfach überhand. es geht um das subsidaritätsprinzip, d.h. anstatt einer immens großen zentralisierten verwaltung wäre eine kleinere verwaltung mit dezentralisierung sinnvoller.
wir brauchen nicht noch mehr zentrale planung, was letztendlich eine folge der eurokratie ist. es wird schon seit längerem über die gründung einer europäischen wirtschaftsregierung gesprochen. genau das brauchen wir nicht, sondern mehr marktwirtschaft.
die EU verzerrt auf der einen seite den markt, und auf der anderen seite werden gut funktionierende öffentliche systeme mutwillig kaputt gemacht. beispiele: von der landwirtschaftlichen produktion bis zur glühbirne wird vorgeschrieben, was der markt zu produzieren hat; und auf der anderen seite soll die öffentliche wasserversorgung privatisiert werden. was soll dieser mist? und dann soll man sich wundern, das der normale bürger von europa die schnauze voll hat.
vereintes europa? JA!
noch mehr EU im alltag? NEIN!
Die Anworten müssen lauten „mehr Europa“, „mehr Geld für Europa“ und ein „sozialeres Europa“
Ja die EU mischt sich in viele Aspekte der Marktwirtschaft ein. In den allermeisten Fällen aber auf Anfrage der Produzenten und Händler, um es ihnen zu ermöglichen, ihre Produkte in der gesamten EU ohne nennenswerte Barrieren vertreiben zu können! Wenn sie einen freien Markt haben möchten, müssen Sie auch akzeptieren, dass die EU den Rahmen schafft in dem die Bedürfnisse der Konsumenten und der Produzenten sich die Waage halten und der eine den anderen nicht über den Tisch zieht (Schwarze Schafe gibt es leider immer). Diese Rahmenbedingungen, oder wenn Sie so wollen Regeln, würden ohne EU aus reinem Konsumentenschutz oder innerstaatlichem Markt“druk“ von den Nationalstaaten geschaffen werden. Die EU macht das aber effizienter. Darüber hinaus: Die Europäischen Staaten (nicht einmal Deutschland oder die Herren von der Insel) werden ohne EU in der globalisierten Welt nicht überleben. Sie würden von den aufstrebenden (Wirtschafts-) Mächten zu einer Rand-/Witzfigur der Geschichte degradiert.
Und nein, die EU ist nicht zu bürokratisch. Jede größere Stadt verwaltung hat mehr Mitarbeiter. Durch die EU Beamten sparen wir Europäer sogar noch, da hier Skaleneffekte genutz werden. Ob Sie jetzt ein Studentenaustauschprogramm oder einen Fonds für soziale Entwicklung für 10 Millionen Menschen entwickeln oder aber für 500 Millionen Menschen. Die konzeptionelle Arbeit bleibt die gleiche. Und genau diese übernimmt die Eumit ihren Beamten. Die Subsidiarität, die dafür sorgt, dass die EU Richtlinien und Beschlüsse erst in nationale/regionale/lokale Gesetzgebung umgesetzt werden müssen, sorgt aber dafür, dass dort viel mehr Beamte eingesetzt werden müssen, die man eigentlich mit anderen, wichtigeren Dingen beschäftigen könnte, wenn man der EU mehr Raum geben würde
Was der EU fehlt ist mehr soziales Denken, mehr Solidarität und mehr parlamentarische Demokratie.
Ps: das soll nicht heißen, dass die EU nicht fehlerfrei ist. Nur sind die Fehler „staatengemacht“: in der EU geht kaum was ohne die Zustimmung der Mitgliedsstaaten