"Das ist ein wirklich historischer Meilenstein": EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen war sichtlich bewegt, als sie sich in Montevideo vor die Kameras stellte. In Uruguays Hauptstadt hatten die Delegationen der Mercosur-Staaten zusammen mit den EU-Vertretern letzte Hand an das Abkommen gelegt, das die Beziehungen zwischen beide Wirtschaftsräume auf eine neue Ebene heben soll.
Ziel ist die Schaffung einer Freihandelszone: Auf der einen Seite des Atlantiks würde die erstmal bestehen aus den Mercosur-Vollmitgliedern, also Argentinien, Brasilien, Uruguay und Paraguay, und auf der anderen Seite eben aus den 27-EU-Staaten. Insgesamt geht es hier um über 700 Millionen Einwohner.
Fast ein Vierteljahrhundert hat es gedauert, ehe sich beide Seiten auf Handelserleichterungen einigen konnten. Konkret sollen Unternehmen von niedrigeren Zöllen und vereinfachten Verfahren profitieren. Dies sei ein Gewinn für beide Seiten, betonte von der Leyen. "Wir sind auf Fairness und gegenseitigen Respekt bedacht: Unternehmen und Verbraucher auf beiden Seiten werden von dem Abkommen profitieren. Eine Win-Win-Situation eben."
Davon allerdings sind längst nicht alle überzeugt. Selten wohl muss eine Nachricht derartig unterschiedlich aufgenommen worden sein. Die einen werden die Sektflaschen geköpft haben, andere müssen dagegen vor Empörung regelrecht an die Decke gegangen sein.
Auf der einen Seite haben einige Länder Druck gemacht, um das Mercosur-Abkommen endlich unter Dach und Fach zu bringen. Das gilt vor allem für Deutschland, wo man insbesondere neue Chancen für die Autoindustrie sieht. Auf der anderen Seite allerdings gibt es auch Länder, die regelrecht Sturm laufen gegen die Vereinbarung. Und das sind beileibe nicht die unwichtigsten: Frankreich, Polen und auch Italien wollen das Abkommen mit allen Mitteln blockieren.
Ursula von der Leyen ist sich dessen freilich bewusst. Ausdrücklich wandte sie sich denn auch am Ende an ihre europäischen Mitbürger. Und dann nochmal speziell an die Bauern: "Wir kennen Ihre Sorgen und Nöte. Und wir arbeiten bereits an Verbesserungen. Dieses Abkommen enthält robuste Sicherheitsriegel, um Ihren Lebensunterhalt zu schützen. Unsere Gesundheits- und Lebensmittelstandards in der EU werden nicht angerührt und bleiben intakt."
Genau das glauben die Landwirte nicht. Sie befürchten unlautere Konkurrenz aus Südamerika. Die Bauern in der EU müssten schließlich ganz andere Auflagen und Normen erfüllen als ihre Mercosur-Kollegen. Diese könnten also kostengünstiger produzieren und die EU-Landwirte seien am Ende die Dummen. Genau diese Ängste haben die wallonischen Bauern am Donnerstag noch einmal lautstark und nachdrücklich wiederholt. Sie sind gegen das Abkommen und bekommen dabei auch Unterstützung unter anderem vom amtierenden MR-Agrarminister und Vizepremier David Clarinval.
Es ist jedenfalls bei weitem nicht auszuschließen, dass das Abkommen - trotz der langen Verhandlungen - am Ende nie in Kraft treten wird. Fakt ist: Wenn der Text, wie es früher üblich war, von allen Parlamenten in allen Mitgliedstaaten ratifiziert werden müsste, dann könnte man sich die Mühe sparen, dann würde das Abkommen unter Garantie gekippt, allen voran in Frankreich.
In jedem Fall werden die Regierungen der 27 EU-Staaten im Ministerrat über den Text zu entscheiden haben. Hier ist keine Einstimmigkeit nötig, sondern lediglich eine qualifizierte Mehrheit. Wenn Frankreich, Polen und Italien ausreichend Gegner um sich scharen können, dann können sie das Abkommen blockieren. Deswegen wird schon darüber nachgedacht, den Text zu splitten, um am Ende zumindest einen Teil des Deals durchzubekommen.
Auf jeden Fall zustimmen muss aber auch das EU-Parlament. Und angesichts der Proteste wird das mit Sicherheit eine hochspannende Angelegenheit. Mit einer Entscheidung wird frühestens in der zweiten Hälfte des kommenden Jahres gerechnet.
Für die EU steht hier auch geopolitisch viel auf dem Spiel. In Zeiten, in denen sich Länder wie die USA abschotten wollen, möchte die EU-Kommission quasi einen Gegenentwurf präsentieren, indem man stattdessen eben auf Kooperation setzt. Doch zuallererst wird man die eigenen Bürger in der EU überzeugen müssen. Denn auch hier bläst der Wind vielerorts von vorn - und das mitunter ziemlich rau.
Roger Pint