Sie könne bestätigen, dass der ominöse Brief tatsächlich eingegangen sei, sagte EU-Kommissionssprecherin Anitta Hipper am Mittwoch. Gemeint war das Schreiben, mit dem sich Marjolein Faber, die neue niederländische Asylministerin, am Vormittag gebrüstet hatte. Auf der Plattform X hatte die radikal-rechte Politikerin stolz verkündet, dass sie bei der EU-Kommission schriftlich den Ausstieg ihres Landes aus den EU-Asylregeln beantragt habe. "Wir müssen wieder über unsere eigene Asylpolitik das Sagen haben", begründete sie ihr Vorgehen.
Damit hat die neue niederländische Regierung im Grunde also ihren Worten Taten folgen lassen. Der neuen Koalition gehört ja erstmals auch die radikal-rechte Partei für die Freiheit, PVV, des Rechtspopulisten Geert Wilders an, die ja im Wahlkampf mächtig Stimmung gemacht hatte gegen Migranten und die EU-Asylregeln. Auch Marjolein Faber ist Mitglied der PVV.
Die neue Regierung hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Zahl der Asylbewerber und der irregulären Migranten in den Niederlanden deutlich zu reduzieren. Das geht aber nur, wenn man sich über geltendes Recht hinwegsetzt. Um ihre Pläne umzusetzen, will die neue Koalition folgerichtig aus den EU-Asylregeln aussteigen. Durch einen sogenannten Opt-Out, wie man in EU-Sprech sagt. Besagter Brief kam also gewissermaßen mit Ansage.
Marjolein Faber weiß um Erfolglosigkeit ihres Anliegens
Die Kommission nehme das Schreiben natürlich zur Kenntnis, sagte Sprecherin Anitta Hipper. Zugleich stelle man fest, dass die Ministerin selbst einräume, dass ein solcher Opt-Out - rein rechtlich gesehen - nur über eine entsprechende Änderung der Verträge möglich sei. Asylministerin Faber scheint also selbst sehr genau zu wissen, dass ihre Anfrage eigentlich ins Leere läuft. Eine Vertragsänderung ist nämlich nicht mehr und nicht weniger als eine institutionelle Reform der EU, die nur von einer sogenannten Regierungskonferenz beschlossen werden kann. Dabei müssen alle Mitgliedstaaten am Ende zustimmen. Das allein stellt schon eine fast unüberwindliche Hürde dar.
Anders gesagt: Dass die Niederlande den von ihnen gewünschten Opt-Out bekommen, ist "unwahrscheinlich", und das ist noch diplomatisch ausgedrückt. Und dann fügt die Sprecherin noch nüchtern hinzu, dass man "im Moment eigentlich auch keine Änderung der EU-Vorschriften zu Asyl und Migration erwarte", die entsprechend - so wie sie sind - derzeit auch für die Niederlande rechtsverbindlich seien.
Niederlande bekennen sich zu geltenden Asyl-Absprachen
Die EU-Staaten haben sich gerade erst auf eine Asylreform geeinigt. Vorgesehen ist dabei unter anderem eine erste Prüfung an den Außengrenzen der EU. Asylbewerber, die nur geringe Aussicht auf Schutz in der EU haben, müssen im Fall einer Ablehnung von dort zurückkehren. Die Einigung auf diese Reform erfolgte erst kurz vor der Europawahl. Und dieser neue Pakt muss ja nun erst mal in die Praxis umgesetzt werden. Daran wird sich - bis auf Weiteres - nichts ändern, sagt die Sprecherin. Und, in diesem Zusammenhang könne man im Übrigen nur begrüßen, dass sich die niederländische Asylministerin weiterhin zu dem Pakt bekenne, und an dessen Umsetzung auch arbeiten wolle.
Mit anderen Worten: Die niederländische Regierung hat in ihrem ominösen Brief höchst widersprüchliche Signale nach Brüssel übermittelt. Auf der einen Seite fordert sie vollmundig eine Ausnahmeregelung, auf der anderen Seite scheint sie aber sehr wohl zu wissen, dass das nicht möglich ist, und bekennt sich dann auch gleich wieder zu den geltenden Absprachen. Wie man denn das Schreiben bei der Kommission einschätze, wird vor diesem Hintergrund die Chefsprecherin gefragt. "Ich denke, wir haben gesagt, was wir sagen wollten", sagte Arianna Podesta. "Dem ist nichts hinzufügen, unsere Position ist klar."
Roger Pint