Portugal hat die höchste Auswanderungsrate in Europa und eine der höchsten in der Welt. Seit 2001 haben durchschnittlich mehr als 75.000 Menschen pro Jahr Portugal verlassen. In dem Land leben etwa 10,3 Millionen Menschen, aber seit 2021 schrumpft die portugiesische Bevölkerung. Ein Trend, der sich nach Ansicht von Demografen in absehbarer Zeit nicht umkehren wird.
Der Exodus betrifft vor allem hochqualifizierte Portugiesen. Die Wirtschaftszeitung De Tijd machte dazu einen interessanten Vergleich. In Belgien verlässt im Durchschnitt einer von hundert diplomierten Studenten die Universität, um danach im Ausland zu leben und zu arbeiten. In Portugal sind es dreißig. Die Portugiesen, die das Land verlassen haben, kehren in der Regel nicht zurück. Dafür ist ihr Einkommen und ihr Lebensstandard in anderen Ländern zu gut. 2,3 Millionen Portugiesen leben zurzeit im Ausland, 70 Prozent von ihnen sind zwischen 15 und 39 Jahre alt.
Perspektiven nötig
Jungen Menschen wieder eine Perspektive zu geben, ist also eine entscheidende Aufgabe für die nächste portugiesische Regierung.
Rui Pena Pires von der Beobachtungsstelle für Auswanderung in Lissabon verweist zur Erklärung für den Exodus auf die niedrigen Löhne und die portugiesische Immobilienkrise. Portugal zahlt im Vergleich zu den am weitesten entwickelten Ländern in der EU sehr niedrige Löhne. Dafür werden aber die Häuser nicht billiger.
Frankreich beliebt bei jungen Portugiesen
Davon profitiert Frankreich. Es ist das beliebteste Land bei den portugiesischen Auswanderern. 600.000 Portugiesen sind dorthin gezogen. Auch beliebt sind Spanien, das Vereinigte Königreich und Dänemark. Auch Belgien steht mit rund 20.000 in Portugal geborenen Einwohnern eher oben auf der Liste.
Für die Länder, in die die jungen, intelligenten, gut verdienenden - und daher kaufkräftigen - Portugiesen gehen, ist ihre Ankunft eine gute Nachricht.
Portugal spürt unterdessen, was eine solche Abwanderung einem Land antut. Nach Angaben von Forschern des Personalvermittlungsunternehmens Manpower ist Portugal nach Taiwan das Land mit dem größten Personalmangel der Welt. Es fehlt an IT-Fachkräften, Managern in der Tourismusbranche, Experten für den Ausbau von Energieanlagen und medizinischem Personal.
Das hat schon dazu geführt, dass sich das portugiesische Gesundheitssystem in einer Krise befindet. Zehn Stunden Wartezeit für eine Notfallversorgung sind normal, 18 Stunden keine Seltenheit, schreibt die Wirtschaftszeitung De Tijd. Der Direktor der größten privaten Krankenhauskette bezeichnet Portugal schon als "demografische Hölle".
Politisch wird schon darüber diskutiert, ob man Steuererleichterungen einführen sollte, die jungen Menschen den Kauf ihres ersten Eigenheims ermöglichen.
Eine große Koalition gilt in Portugal als ausgeschlossen: Die beiden Hauptparteien trennen faktisch unüberwindbare Differenzen. Nicht wenige Beobachter gehen vor diesem Hintergrund von möglichen Neuwahlen aus. Eine Regierungsbeteiligung der Rechtspopulisten hatten die Großparteien vor der Wahl ausgeschlossen.
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