Die seit Wochen schwelende Regierungskrise in London hat sich weiter verschärft. Zuerst verlor die konservative Regierungschefin mit dem wohl erzwungenen Rücktritt von Innenministerin Suella Braverman ihr zweites Kabinettsmitglied innerhalb von Tagen. Später gab es Berichte, ein Teil der Fraktionsführung sei zurückgetreten, nachdem die Regierung eine Abstimmung im Parlament zunächst zur Vertrauensfrage erklärt hatte, in letzter Minute aber zurückruderte.
Die Lage für Truss scheint damit erheblich schlechter als noch am Tag zuvor. Die 47-Jährige, die erst seit sechs Wochen im Amt ist, kämpft um ihr Amt, nachdem sie mit geplanten Steuererleichterungen ein Finanzchaos ausgelöst hatte und eine Kehrtwende hinlegen musste.
Chaotische Abstimmung
Die von der oppositionellen Labour-Partei anberaumte Abstimmung am Mittwochabend geriet völlig aus den Fugen. Der Labour-Antrag wurde zwar mit großer Mehrheit abgelehnt, doch viele konservative Abgeordnete sollen nur äußerst widerwillig gegen den Vorstoß gestimmt haben, der ein Gesetzgebungsvorhaben zum Fracking-Verbot einleiten sollte. Es gab auch eine ganze Reihe von Enthaltungen.
Der Labour-Abgeordnete Chris Bryant und weitere Oppositionsmitglieder erhoben außerdem den Vorwurf, konservative Abgeordnete seien teilweise mit Schreien und Stößen in eine bestimmte Richtung gedrängt worden und hätten nicht frei und ungehindert wählen können.
Erst am vergangenen Freitag hatte Truss ihren Finanzminister Kwasi Kwarteng entlassen und durch den früheren Außenminister Jeremy Hunt ersetzt. Hunt machte am Montag fast alle Bestandteile ihrer erst Ende September verkündeten Steuerpolitik wieder rückgängig. Den Posten Bravermans übertrug Truss Ex-Verkehrsminister Grant Shapps, der ebenfalls als erfahren gilt. Doch ob sie damit ihr Amt retten kann, gilt als fraglich.
Downing Street: Truss trifft Fraktionsvertreter
Die Spekulationen über einen bevorstehenden Rücktritt der britischen Premierministerin Liz Truss haben indessen weiter an Fahrt aufgenommen. Die konservative Politikerin traf sich am Donnerstagmittag mit Graham Brady, dem Vorsitzenden des 1922-Komitees. Das Gremium ist für die Wahl und Abwahl der Parteivorsitzenden zuständig.
Sollte Brady den Eindruck haben, dass die Premierministerin nicht mehr das Vertrauen ihrer Fraktion genießt, müsste sie zurücktreten. Nach Angaben der Regierung kam das Treffen auf Wunsch von Truss zustande.
Mehrere Abgeordnete hatten am Donnerstag Truss öffentlich das Vertrauen entzogen, nachdem Innenministerin Suella Braverman zurückgetreten war und sich bei einer Abstimmung im Parlament chaotische Szenen abgespielt hatten.
dpa/jp/est