"Das ungarische Gesetz ist eine Schande": So klare Worte wie Kommissionschefin Ursula von der Leyen hatte die EU bislang noch nicht gefunden, um Budapest deutlich zu machen, dass die Grenzen überschritten sind. Eine Schande, weil hier ganz klar Menschen wegen ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert würden, führte von der Leyen aus. Und damit würden die Grundwerte der Europäischen Union missachtet.
Das Gesetz verbietet Publikationen, die sich an Kinder oder Jugendliche richtet und in der Sexualität dargestellt wird, die von der heterosexuellen abweicht. Außerdem wird Homosexualität in einem Atemzug mit Pädophilie genannt. In der Praxis bedeutet das, dass man über Homosexualität nicht mal mehr reden darf.
Das Thema war auch längst bei der Fußball-EM angekommen. Was wohl damit zu tun hatte, dass Ungarn qualifiziert war. Der deutsche Torwart Manuel Neuer hatte schon vor dem Ungarn-Spiel seiner Mannschaft eine Kapitänsbinde in den Regenbogenfarben getragen. Die UEFA hatte einen Moment lang sogar in dieser Sache "ermittelt", weil man das mutmaßlich als ein "politisches Symbol" verstehen konnte.
Besagte Untersuchung wurde eingestellt. Als die Stadt München dann aber den Antrag stellte, zum Ungarn-Spiel die Münchener Allianz-Arena in den Regenbogenfarben erstrahlen zu lassen, da ging das der UEFA doch zu weit. Der Antrag wurde abgelehnt.
Damit entfesselte der Europäische Fußballverband dann aber einen Sturm der Entrüstung. In vielen Europäischen Ländern wurden Stadien in den Regenbogenfarben angestrahlt. Unverständnis auch beim belgischen Fußballverband. Die UEFA engagiere sich doch schließlich für Integration, Gleichheit und Offenheit. Nun, dann müsse man auch konsequent sein und eine solche Initiative zulassen, sagte Verbandssprecher Stefan Van Loock in der VRT.
Unverständnis auch bei vielen Spielern. Das ist doch scheinheilig, sagte der Rote Teufel Thomas Meunier in der VRT. Die UEFA engagiert sich doch angeblich gegen Rassismus und andere Formen der Diskriminierung. "Aber offensichtlich ist das nur Show."
Resultat jedenfalls: Man redet über das Thema. Und das im Rahmen eines der größten Sportereignisse des Jahres. Und das ist nicht nur ein neuer Tiefschlag für die Glaubwürdigkeit der UEFA, die Polemik um das ungarische Gesetz hat längst den grünen Rasen verlassen und droht jetzt auch, den EU-Gipfel zu überschatten.
Das wäre nie passiert, wenn die Spieler nicht den Finger in die Wunde gelegt hätten, sagte der Politikwissenschaftler François Gemenne in der RTBF. Ohne die Affäre um das Stadion, ohne die Kapitänsbinde von Manuel Neuer wäre das Thema wohl nie auf die Tagesordnung des EU-Gipfels gerückt.
Wilmès: "Dialog mit den anderen Ländern suchen"
Eine Meinung, die Außenministerin Sophie Wilmès wohl nicht so stehenlassen würde. Die MR-Politikerin hatte am Dienstag im EU-Außenministerrat das ungarische Gesetz zur Sprache gebracht und eine Resolution eingebracht. Darin wird die Kommission aufgefordert, in dieser Sache den Europäischen Gerichtshof einzuschalten.
Inzwischen stehen 17 Mitgliedstaaten hinter der Resolution. Was aber zugleich bedeutet, dass zehn nicht unterschrieben haben. Und, ja, das überrasche sie immer noch, sagte Wilmès am Donnerstag in der RTBF. Schließlich gehe es doch hier um Grundwerte, die das Fundament der EU bildeten.
Schlimmer noch, sagte Wilmès: Als sie am Dienstag die Resolution verteidigt habe, da habe sie Dinge gehört, die sie regelrecht krank gemacht haben. "Wir haben hier echt ein Problem, die Standpunkte anzunähern. Wir müssen jetzt unbedingt den Dialog mit den anderen Ländern suchen. Wir müssen ihnen unseren Standpunkt erklären, ihnen sagen, dass das so nicht geht. Es reicht aber nicht, zu verurteilen, wir müssen in erster Linie überzeugen."
Roger Pint